09.09.2025
Matthias Mast

«Neun von zehn alten Bäumen müssten nicht gefällt werden!»

Fabian Dietrich, Baumpflegespezialist mit eidg. Fachausweis rettet im Auftrag der Fondation Franz Weber alte Bäume.

Welchen Wert haben alte Bäume?

Fabian Dietrich: Alte und somit in der Regel grosse Bäume sind Schattenspender, Sauerstofflieferanten, Klimaanlage, Luftfilter und Lebensraum für unzählige Lebewesen und Organismen. Gerade im Sommer schätzen wir Menschen ihre Fähigkeiten. Ihre Blätter bringen Abkühlung, und wo Bäume stehen, ist die Luft frischer und weniger belastet. Ein Altbaum kann mit nichts ersetzt werden. Zudem sind alte Bäume im Siedlungsraum orts- und landschaftsbildprägend. 

Weshalb werden alte Bäume oft fälschlicherweise als «sterbenskrank» eingestuft?

Leider werden sie aufgrund von Schäden, Pilzen, Krankheiten, Totholz und anderen Faktoren häufig als gefährlich oder als Bäume ohne Zukunft eingestuft. Dabei ist es völlig normal, dass Bäume Pilze haben und in Verbindung damit Höhlungen. Der Baum hat ein Abwehrsystem und kann somit sehr gut mit Pilzen umgehen beziehungsweise diese abschotten und die Fäulnis kompensieren. Hohle Bäume sind in aller Regel standsicher, leben also erfolgreich mit Pilzen und können mit gezielten Baumpflegemassnah meist langfristig über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte sicher erhalten bleiben. 

Was sind die häufigsten Missverständnisse im Umgang mit alten Bäumen?

Ein grosses Missverständnis ist, dass hohle oder kranke Bäume zwingend gefällt werden müssen. Dem ist aber nicht so! Aufgrund meiner Erfahrung müssen neun von zehn Bäumen nicht gefällt werden. Hohle Bäume etwa gelten fälschlicherweise als gefährlich – dabei wird nahezu jeder alte Baum im Laufe der Zeit hohl. Wie bereits erwähnt, sind hohle Bäume durchaus standsicher. Grundsätzlich gilt: Hohlkörper sind stabil. 

Dieses Prinzip hat sich der Mensch von der Natur abgeschaut. Zum Beispiel im Metallbau etwa sind Hohlkörper wie Strassenlampenmasten längst Standard.

Wie muss man demnach kranke Bäume behandeln?

Bäume können normalerweise gut mit Krankheiten umgehen. Beispielsweise kann bei Eschen mit gezielten Baumpflegemassnahmen dem Eschentriebsterben entgegengewirkt und der Baumerhalt sichergestellt werden, ohne dass diese eine Gefahr darstellen oder gar gefällt werden müssen. Es gibt viele Möglichkeiten, mit Baumpflegemassnahmen wie unter anderem dem Einbau von Kronensicherungen, die Sicherheit rund um Bäume zu gewährleisten.

Welche Rolle spielen alte Bäume im Ökosystem? 

Alte Bäume sind essenziell für die Biodiversität. Sie bieten Lebensraum für unzählige Lebewesen und Organismen, von Vögeln, Fledermäusen, Eichhörnchen über Insekten, Käfer, Flechten bis hin zu Pilzen etc. Bäume sind also lebende Biotope. Besonders hohle Bäume stellen wichtige Lebensräume dar, wie beispielsweise Nistplätze für Vögel. Auch der vom Aussterben bedrohte Juchtenkäfer ist auf Mullzonen als Lebensraum angewiesen, die nur in lebenden alten Bäumen vorhanden sind. 

Wie profitiert der Mensch vom alten Baum?

Als natürliche Klimaanlage, die wir unbedingt erhalten sollten! Bäume binden grosse Mengen CO2, produzieren Sauerstoff, kühlen die Umgebung, binden Feinstaub und filtern Schadstoffe. Ein alter Baum kann täglich Sauerstoff für mehrere Menschen produzieren und die Temperatur in seiner Umgebung um bis zu zehn Grad senken. 

Was können wir tun, um den Schutz alter Bäume zu verbessern?

Es beginnt mit Aufklärung. Viele Menschen und auch Fachleute sind sich der Bedeutung alter Bäume nicht bewusst oder unterschätzen sie. Wir müssen die Öffentlichkeit für den Wert und die Pflege alter Bäume sensibilisieren. Das bedeutet auch, bei geplanten Fällungen kritisch zu hinterfragen, ob sie wirklich notwendig sind. 

Wie kann man gegen Fällungen vorgehen?

Durch Einsprachen und Gutachten kann geplanten Fällungen entgegengewirkt werden. Es braucht Mut und Fachwissen, um gegen den Druck der Fällargumente anzukämpfen. Häufig steht man fast alleine da. Deshalb ist die Öffentlichkeitsarbeit sehr wichtig. So halte ich regelmässig Vorträge zum Thema Bäume und deren Erhalt. 

Was ist Ihre wichtigste Botschaft an die Menschen, wenn es um die alten Bäume geht?

100 junge Bäume reichen nie aus, um einen einzigen alten Baum mit seiner Biodiversität und den erwähnten Eigenschaften zu ersetzen. Es braucht 400 Jungbäume, um die Umweltleistungen eines einzigen alten Baums zu kompensieren. Daher ist es dringend nötig, grosse, alte Bäume zu erhalten. Es dauert Jahrzehnte bis sich Neupflanzungen zu grossen Bäumen entwickelt haben. Ein Umdenken ist somit unbedingt nötig. 

Ein interview von Matthias Mast

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