Interview mit Hans Weiss, Landschaftsschรผtzer
Hans Weiss, geboren 1940 in Kรผsnacht ZH, hat ein ganzes Leben lang grossen Einsatz fรผr den Landschafts- und Naturschutz in der Schweiz geleistet. Als Landschaftspfleger des Kantons Graubรผnden, als Lehrbeauftragter der ETH Zรผrich fรผr Natur- und Landschaftsschutz, als Geschรคftsleiter der Schweizerischen Stiftung fรผr Landschaftsschutz und Landschaftspflege sowie des Fonds Landschaft Schweiz hat er wie Franz Weber entscheidend dazu beigetragen, Natur als solche zu bewahren und naturnahe Kulturlandschaft vor der Aufgabe und Zerstรถrung zu retten.
Weshalb sind Sie gegen den Mantelerlass, der jetzt ยซStromgesetzยป und je nach Ansicht ยซStromsicherheitsgesetzยป oder ยซLandschaftsverschandelungsgesetzยป genannt wird?
Kurz und bรผndig gesagt: Weil mit dem Gesetz die Mitsprache der Bevรถlkerung und das Beschwerderecht der Natur- und Landschaftsschutzvereinigungen der sogenannten Energiewende geopfert werden.
Aber die von Ihnen mitgegrรผndete Stiftung fรผr Landschaftsschutz unterstรผtzt den Mantelerlass?
Ja, leider. Wenn man offiziell mitmacht in Kommissionen oder an einem Runden Tisch, dann ist man dem ausgehandelten Kompromiss ausgeliefert. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass an diesem Runden Tisch schon einiges erreicht wurde. Aber der Auenschutz wurde durchlรถchert.
Inwiefern?
Im Einzelfall kann das Erfordernis des Restwassers aufgehoben werden. Bedarf und Standort von Anlagen werden per Richtplan und Gesetz festgelegt und kรถnnen nicht mehr angefochten werden.
Die Befรผrworter sagen, dass der nun vorliegende Kompromiss, die geschรผtzte Naturlandschaft kaum negativ beeintrรคchtigt.
Werโs glaubt! Generell ist dieser Mantelerlass ein Bรผrokratie-Monster, dessen Umsetzung sehr schwierig sein wird. Es ist ein Flickwerk, welches fรผr alle Seiten Angriffsflรคchen bietet. Zudem ist es verfassungswidrig, weil es die Gleichrangigkeit der Interessen von Energieversorgung und Natur- und Landschaftsschutz aushebelt. Die Energieversorgung hat gemรคss diesem Kompromiss grundsรคtzlich den Vorrang. Das halte ich fรผr fatal. Nach geltender Verfassung muss das im Einzelfall abgewogen werden.
Aber wie erklรคrt man dem Volk, dass der Anspruch auf genug Energie nicht hรถher zu bewerten ist als die Natur und Landschaft?
Das ist eine philosophische Frage, die ich wie folgt beantworten mรถchte: Wir kรถnnen nicht menschliche Bedรผrfnisse รผber die Erhaltung der Natur stellen, weil wir von ihr abhรคngen und Teil von ihr sind. Politisch bedeutet das: Das Stromgesetz, wie der Mantelerlass nun heisst, will eben die Energieversorgung vorziehen, obwohl der Schutz von Natur, Wald und Landschaft gleich hoch zu werten ist.
รber diese philosophisch-politische Frage kรถnnen die Schweizerinnen und Schweizer am 9. Juni abstimmen. Das ist doch erfreulich!
Nur dank dem Referendum, welches Leute wie Vera Weber und andere Mitstreiter glรผcklicherweise ergriffen haben. Denn bei diesen Fragen sollten die Bรผrgerinnen und Bรผrger entrechtet werden. Weder der Bundesrat noch das Parlament wollte beim Entscheid das Volk und die Kantone dabeihaben.
Der Abstimmungskampf hat es in sich, denn der Stromverbrauch steigt und steigt. Die Bevรถlkerung will genug Energieโฆ
โฆ und genรผgend Natur- und Erholungsrรคume! Bei dieser Abstimmung muss das Volk entscheiden รผber eine Vorlage im Sinne von ยซWollt ihr das Primat der Stromerzeugung vor dem Schutz der Natur und Landschaft?ยป. Doch genau vor dieser Frage haben sich wie bereits erwรคhnt das Parlament und die Regierung gedrรผckt. Weil die Menschen sich nach Erholungsrรคumen und natรผrlichen und unverbauten Landschaften sehnen.
Aber es ist eben ein Kompromiss, der letztendlich darauf begrรผndet ist, den Stromverbrauch in der Schweiz zu befriedigen. Wie bereits gesagt: Wir verbrauchen immer mehr Stromโฆ
โฆund verschwenden immer mehr. Da mรผssen wir ansetzen!
Wie und wo denn?
Gemรคss einer Studie des Bundesamtes fรผr Energie belรคuft sich die ineffiziente Nutzung des Stroms, das heisst die Energieverschwendung in der Schweiz auf รผber 20 Prozent des Gesamtverbrauchs.
Das bedeutet konkret? Wo wรผrden Sie dann ansetzen?
Es gibt Betriebe, die verbrauchen den doppelten Stromverbrauch der Stadt Luzern. Man mรผsste solche Betriebe zur Stromverbrauchseffizienz zwingen. Auch mit ยซSmart Energyยป (bessere zeitliche Verteilung von Spitzenzeiten) kรถnnte man viel gewinnen.
Der Energieverbrauch der Betriebe ist das eine, der Konsum der Bevรถlkerung das andere.
Statt immer nur die Nachfrage zu befriedigen, sollten wir die Begrenztheit des Angebots ins Zentrum stellen. Man kann nicht immer alles haben, und dies zu jeder Tages- und Nachtzeit. Den Menschen mรผssen beim Energieverbrauch klare Grenzen aufgezeigt werden, wie dies in anderen Bereichen des Lebens auch der Fall ist.
Sie wollen den Energieverbrauch rationieren?
Stromrationierung ist ein starkes Wort, und es ist nicht das, was ich meine. Es geht um einen Bewusstseinswechsel beim Stromverbrauch. Auch mit dem Tarif fรผr Luxus, z.B. fรผr geheizte Schwimmbรคder kรถnnte man einiges bewirken.
Da mรผssen Sie genauer erklรคren.
Ein Beispiel einer einfachen Methode: In Kalifornien gibt es immer wieder Probleme mit dem Stromnetz. Die Betreiber informieren jeweils die Kunden per Kurzmitteilung, wann sie den Stromverbrauch drosseln sollten, damit nicht alle zur gleichen Zeit die Tumbler, Toaster und Waschmaschinen laufen lassen. Dort funktioniert das, und damit kรถnnen Netzzusammenbrรผche verhindert werden. Das wรคre auch in der Schweiz mรถglich. Wir mรผssen unser Bewusstsein รคndern und uns daran gewรถhnen, dass wir โ wie bereits gesagt โ nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit Energie im Allgemeinen oder Strom im Speziellen konsumieren kรถnnen.
Werfen wir einen Blick zurรผck in die Vergangenheit, in eine Zeit, als ganze Tรคler und Dรถrfer fรผr die Energiegewinnung geflutet wurden. Damals hatte man keine andere Wahl und der Widerstand dagegen war klein.
Das war, wie Sie richtig sagen, eine andere Zeit. Die Situation hat sich seitdem geรคndert. Unterdessen hat man 95 Prozent der geeigneten nutzbaren Fliessgewรคsser ausgebaut, sogar im Nationalpark. Heute muss man alles mit anderen Augen beurteilen. Energiegewinnungs-Projekte auf Kosten der Natur und der freien Landschaft sollten heute nicht mehr gebaut werden. Wir brauchen heute mehr Grรผn in den Stรคdten und mehr Natur auf dem Land.
Die Befรผrworter sagen aber, dass sehr wenig Natur geopfert wird. Sowohl fรผr Windanlagen als auch fรผr Solarkraft.
Um mit Goethe zu antworten: ยซDie Botschaft hรถr ich wohl, allein mir fehlt der Glaubeยป. Ich kann ihnen auf einer Karte zeigen, welche Perlen der Natur den Gelรผsten der Stromkonzerne ausgesetzt sind. Damit werden jahrzehntelange Errungenschaften im Naturschutz zunichte gemacht. Wenn ich nur daran denke, auf den sanften Jurahรถhen oder bekannten Bergen der Voralpen die riesigen Monsterwindrรคder sehen zu mรผssen, und zu jeder Turbine fรผhrt eine Strasse! Mit der Zerstรถrung von gewachsenen, heimatlichen Landschaften geht immer auch etwas vom Sinn des Lebens verloren.