Seit 1999, also seit über einem Vierteljahrhundert ist Vera Weber für die Fondation Franz Weber (FFW) aktiv, und seit 2014 steht sie ihr als Präsidentin und Geschäftsführerin vor. Doch eigentlich, sagt sie, sei sie schon ihr ganzes Leben Teil dieser Stiftung – im selben Alter wie die FFW, aufgewachsen zwischen Kampagnen, Medienkonferenzen und dem unermüdlichen Engagement ihrer Eltern Judith und Franz Weber.
Vera Weber, fühlen Sie sich beim Blick auf das 50-Jahre-Jubiläum eher in der Vergangenheit oder in der Gegenwart verankert?
Vera Weber: Alle haben eine Geschichte. Ich auch. Aber ich lebe ganz bewusst im Hier und Jetzt – mit Erinnerungen an die Vergangenheit und mit Gedanken an die Zukunft. Denn: Zukunft bedingt Herkunft. Das sagt man so schön – und es stimmt.
Welche Gedanken begleiteten Sie beim Erstellen dieser Jubiläumsausgabe?
Mich bewegt die Erkenntnis, wie viel wir in diesen fünf Jahrzehnten bewirken konnten. Wie viele Landschaften wir erhalten, wie viel Tierleid wir verhindert, wie viele Kulturgüter wir gerettet haben. Und all das mit einer kleinen, unabhängigen Organisation. Vielleicht liegt das Geheimnis gerade darin: klein, wendig – und kompromisslos in der Sache.
Welche konkreten Erfolge erfüllen Sie rückblickend mit besonderem Stolz?
Ein Meilenstein war sicher das Importverbot für Robbenprodukte in der EU im 2009. Später zogen auch die Schweiz (2017) und andere Länder nach, mit der Folge, dass die Jagd auf diese Tiere stark zurückging.
Ein weiterer Höhepunkt war die Zweitwohnungsinitiative, bei der ich die Kampagnenleitung hatte. Sie war die erste nationale Initiative, die die FFW gewonnen hat. Selbst bei ihren einstigen Gegnern hat sie ein Umdenken angestossen, und viele Gemeinden verschärfen heute ihre Bauvorschriften zusätzlich.
Aber der für mich emotional wichtigste Erfolg war die Verhinderung des Ozeaniums in Basel. Ein riesiges Meerwasser-Aquarium mitten in einer Stadt, weit entfernt vom Meer – das war für mich undenkbar. Wir führten eine starke Kampagne, und mit dem Abstimmungssieg erhielten die Meerestiere eine Stimme.
Was war der Schlüssel zum Erfolg in der Kampagne gegen das Ozeanium?
Der Slogan: «Meere schützen wo sie sind.» Er traf den Kern. Statt 100 Millionen Franken für einen künstlichen Lebensraum zu verschwenden, sollten diese Mittel sinnvoll in echten Meeresschutz fliessen, wie etwa in den Schutz von Korallenfischen und -riffen. Diese Überlegung brachte viele Baslerinnen und Basler zum Umdenken. Es war ein bewegender Sieg.
War das für Sie ein grosser Schritt hin zur Abschaffung von Zoos?
Nein. Wir fordern nicht die Abschaffung, sondern die grundlegende Reform der Zoos. Die Idee, Wildtiere zur Schau zu stellen, stammt aus dem 18. Jahrhundert – aus einer Zeit ohne Fotos, Filme oder wissenschaftliche Erkenntnisse über Tierwohl. Heute wissen wir es besser. Und wir sollten endlich entsprechend handeln. Die Zoos wären hierfür in der Polposition: Sie verfügen über gute Infrastruktur und kompetentes Personal, welches sinnvoller eingesetzt werden kann als zum Betreuen für ein Tierleben hinter Gittern oder Glas. Dieses Konzept ist definitiv aus der Zeit gefallen.
Was genau bedeutet eine grundlegende Reform der Zoos?
Unser Projekt heisst «inSintu» (früher: Zoo21) – für den Schutz der Wildtiere in ihrem natürlichen Lebensraum. Es zielt darauf ab, Zoos zu Orten des Schutzes und nicht der Zurschaustellung zu machen. Tiere, die verletzt oder beschlagnahmt wurden, sollen gepflegt werden. Tiere, die nicht ausgewildert werden können, sollen künftig nicht mehr gezüchtet werden. Und, Tiere wie Elefanten, die in Zoos besonders leiden, sollen in grosse Reservate überführt werden. In Frankreich existiert bereits ein Elefanten-Refugium, ein weiteres entsteht derzeit in Portugal. Zudem haben wir schon fünf Elefanten aus argentinischen Zoos in ein Schutzgebiet im brasilianischen Mato Grosso gebracht – sodass seit diesem Jahr kein einziger Elefant mehr in Argentinien in Gefangenschaft lebt.
EIn riesiger Erfolg! Ein weiteres Thema, für das sich die FFW seit Jahrzehnten einsetzt, ist der Kampf gegen Stierkämpfe. Wie kam es dazu, dass Sie dieses Engagement intensivierten?
Als ich in Kanada 2006 wegen der Robbenjagd war, entgegnete mir eine wütende Befürworterin der Robbenjagd: «Kümmern Sie sich lieber um das, was vor Ihrer Haustüre passiert – Stiere, die zur Belustigung zu Tode gequält werden.» Natürlich kann man keine Grausamkeit mit einer anderen rechtfertigen, aber ihre Aussage traf mich ins Herz. So belebte ich die FFW-Kampagne aus den 1980er-Jahren neu, und organisierte 2008 einen durchschlagenden Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof für Tierrechte, der von meinem Vater gegründet wurde.
Und Sie hatten Erfolg?
Ja. Das hat die Bewegung in Katalonien sehr gestärkt. Die Gruppe «Prou!» (deutsch: Es reicht!) hat daraufhin eine Volksinitiative mit über 180’000 Unterschriften eingereicht. Das katalanische Parlament verabschiedete in der Folge die Abschaffung des Stierkampfs. Das war am 28. Juli 2010 – der schönste Tag meines Lebens! Die führenden Köpfe dieser Bewegung konnte ich für die FFW engagieren. Seither kämpfen wir international gegen Corridas – mit Erfolg: Viele Städte und Länder in Lateinamerika haben Stierkämpfe inzwischen verboten.
50 Jahre Fondation Franz Weber – und trotzdem fragen sich manche: Braucht es sie heute überhaupt noch?
Mehr denn je! Heute wird die Natur nicht mehr nur aus Profitgier oder aus Gedankenlosigkeit zerstört, sondern immer häufiger im Namen des Klimaschutzes. Das ist an Zynismus kaum zu überbieten. Unsere Wälder, unsere Landschaften, unsere Ökosysteme werden geopfert – für angeblich «grüne» Energieanlagen. Unter dem Vorwand, das Klima zu retten, zerstört man das, was noch lebendig ist. Es ist zu einem Dogma geworden. Unantastbar. Nicht hinterfragbar. Es duldet weder Nuancen noch Debatte. Alles ist erlaubt, solange man das Etikett «Klimaschutz» draufklebt.
Das Stromgesetz, welches den Bau von Solar- und Windkraftanlagen erleichtern will, wurde vom Schweizervolk angenommen. Muss man das nicht respektieren?
Ja. Wir behalten uns aber vor, dort einzuschreiten, wo es besonders schlimm wird – etwa bei Projekten wie Gondosolar im Wallis oder dem geplanten Solarpark bei Tamaro im Tessin. Wir nutzen unsere juristischen Mittel gezielt und effizient.
Im Ausland werden riesige Solar- und Windanlagen gebaut…
… und dafür werden ganze Wälder abgeholzt und Landschaften überbaut. Es ist ein regelrechtes Massaker: Der Reinhardswald in Deutschland – jener mythische Wald aus den Märchen der Brüder Grimm – wird für Windkraftanlagen geopfert. Und anderswo, in Portugal und Spanien, werden hunderttausende Olivenbäume gerodet, um Platz für Solaranlagen und Windräder zu schaffen. Es ist ein Verbrechen, ein völliger Widersinn, uralte, lebendige Ökosysteme zu opfern – im Namen eines angeblichen Klimaschutzes, der in Wahrheit die Natur zerstört und genau jene Ökosysteme schwächt, die für unser aller Überleben entscheidend sind.
Im Ausland hat die FFW mehr Mühe, sich Gehör zu erschaffen.
Ja und Nein. Die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie und ihren Gesetzen für die Natur und Landschaft sowie der Möglichkeit für das Schweizer Volk sich mit Referenden und Initiativen einzubringen, ist im Vergleich zu anderen Ländern einzigartig. Aber auch im Ausland kann die FFW auf regionaler oder nationaler Ebene immer wieder grosse Erfolge feiern, indem sie mit den Behörden zusammenarbeitet.
Es dürfte interessant sein, inwiefern das Abkommen mit der EU, über das die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in naher Zukunft abstimmen werden, die Arbeit der FFW in der Schweiz beeinträchtigen könnte.
Ich befürchte dahingehend das Schlimmste!
Weshalb?
Weil das Abkommen unsere direkte Demokratie in Gefahr bringt. Heute können wir mit Initiativen und Referenden echten Einfluss auf Umwelt- und Tierschutz nehmen in der Schweiz. Mit dem Rahmenvertrag würde vieles dem EU-Recht untergeordnet. Initiativen könnten zwar gestartet, aber nicht mehr umgesetzt werden. Das wäre ein massiver Rückschritt.
… weshalb sonst noch?
Die Einwanderung wird noch mehr zunehmen. Das bedeutet mehr Menschen und mehr Druck auf die Natur und auf einheimische Wildtiere. Daraus folgt weniger Lebensraum, weniger Grünflächen, mehr Beton, mehr Fleisch- und mehr Energiekonsum.
Sie klingen wie eine SVP-Politikerin.
Ich mache keine Parteipolitik. Ich äussere mich als Tier- und Naturschützerin. Mein Anliegen sind die Tiere, die Natur und die Kulturlandschaft. Das sage ich, ohne Rücksicht auf links oder rechts.
Kritiker werfen der FFW vor, sich zu sehr zu verzetteln: Energie, Tiere, Kulturgüter – zu viele Themen auf einmal.
Unser Herz schlägt für die Tiere, für die Natur – in ihrer ganzen Vielfalt. Ohne Natur gibt es keinen Lebensraum für Tiere.
Ohne Landschaft keine Kultur. Ohne Kulturgüter keine Identität. Das gehört zusammen. Und genau deshalb engagieren wir uns breit – aber nie beliebig.
Sie sprechen von wir und uns. Was sagt das über Ihren Führungsstil aus?
Genau, ich spreche bewusst von wir und uns. Denn in der FFW arbeitet ein engagiertes und professionelles Team in der Schweiz und weltweit an unseren Kampagnen und Projekten. Es wäre nicht richtig, dabei nur von mir zu sprechen. Was ich aber mit Stolz sagen kann: Ich hatte die Vision für dieses Team – und ich habe es aufgebaut.
Sie werden oft als „die Tochter von Franz Weber“ bezeichnet. Was macht das mit Ihnen?
Es ist das Los aller Kinder mit bekannten Eltern, aber es ist ermüdend. Dieses «Tochter von»– Etikett mag lieb und gut gemeint sein, aber es blendet aus, dass ich ein eigenständiger Mensch bin – mit meiner eigenen Geschichte, meinen Überzeugungen und Resultaten, die ich mir durch meinen intensiven Einsatz und meine harte Arbeit verdient habe.
Sie sind gleich alt wie die Fondation. Haben Sie sich schon Gedanken gemacht über die Nachfolge?
Natürlich. Wir bauen seit Jahren ein starkes, altersdurchmischtes Team auf, zwischen Zwanzig bis über Achtzig ist alles dabei. Und wir bilden laufend neue Menschen aus. Die FFW wird weiterleben. Denn unsere Mission endet nicht mit mir, sondern erst dann, wenn Tiere und Natur keinen Schutz mehr brauchen.
Ein interview von Matthias Mast