26.11.2024
Leonardo Anselmi

Equidad: Das Feuer, das uns für immer verändert hat

Seit seinen Anfängen hat unser Gnadenhof Equidad monumentale Herausforderungen bewältigt. Wir haben endlose Dürren und extreme Temperaturen überstanden sowie über 300 Tiere auf bergigen Wegen zu einem neuen, sicheren Ort transportiert. Doch was wir kürzlich erlebt haben, hat uns auf eine Weise geprägt, die wir niemals vergessen werden: die Waldbrände im Punilla-Tal, die uns um ein Haar verschlungen hätten.

Zwischen Mut und Angst

An einem schicksalhaften Nachmittag stellten sich neun Personen, darunter unser Team und einige Nachbarn, den Flammen, die unerbittlich auf den Fluss San Gregorio vorrückten, nur wenige Meter von unserem Gnadenhof Equidad entfernt. Der Wind peitschte und liess die Flammen lodern, während die Feuerwehr in den nahegelegenen Dörfern blieb und auf das Voranschreiten des Feuers wartete. Im Gemeinschaftschat hallten die Bitten um Löschflugzeuge wider. Von den sechs verfügbaren Flugzeugen funktionierten nur zwei – und keines erreichte uns.

„Der Fluss ist breit und von Felsen umgeben, hier werden wir kämpfen“, sagte Tom Sciolla, Direktor von Equidad. Die Entscheidung war klar: dem Feuer direkt entgegenzutreten. Das Team bereitete sich auf das Schlimmste vor und wartete auf die Flammen. Der Wind verstärkte sich, Rauch hüllte das Team ein und das Brausen der Flammen übertönte jedes Wort. Tom und eine kleine Gruppe wurden zwischen zwei Feuerfronten eingeschlossen, als die Flammen den Fluss überquerten. Es gab Momente, in denen sie um ihr Leben fürchteten, doch schliesslich fanden sie einen Ausweg.

Drei Wochen Feuer, Furcht und Sorgen

In dieser Nacht, nach fast einer Woche des Widerstands, drang das Feuer in unser Gebiet ein. Die Flammen kamen bis auf 200 Meter an die Weiden heran, wo unsere Tiere leben, und an unser Haus, das als Einsatzzentrale dient. Drei weitere Wochen voller Emotionen und Lektionen folgten. Ein paar Tage später verschwand die Präsenz der Feuerwehr komplett. Obwohl mehrere Nachbarsgruppen auf den Gnadenhof kamen, war ihre Hilfe nur von kurzer Dauer. Die offiziellen Anweisungen priorisierten den Schutz der Häuser auf Kosten des Waldes. Einige Brände wurden absichtlich gelegt und verwüsteten weitere Hektar Land. Für uns und viele Nachbarn ist der Wald jedoch weit mehr als nur eine Ressource. Er ist die Seele unseres Landes, das Zuhause der Tiere und der umgebenen Natur. Wie kann man den Verlust eines Hauses, das in Monaten wieder aufgebaut werden kann, mit dem Verlust eines uralten Baums vergleichen, der Jahrhunderte braucht, um nachzuwachsen?

Diese unterschiedlichen Sichtweisen führten zu ständigen Spannungen zwischen uns, der Feuerwehr und den Behörden. Die Bürokratie erwies sich als weiteres Hindernis: Nachbarn mit Schaufeln und Löschrucksäcken wurden von der Polizei aufgehalten und in einigen Fällen sogar verhaftet, weil sie versucht hatten, das Feuer eigenständig zu bekämpfen. Wir erkannten, dass diese herausfordernde Realität uns Jahr für Jahr begleiten wird. Ohne staatliche Hilfe wird der Schutz der Tiere und des Gnadenhofs allein von uns und unseren Nachbarn abhängen.

Die Tiere sind wohlauf

Das Wichtigste für alle, die den Gnadenhof Equidad lieben: Alle Bewohner sind wohlauf! Obwohl das Feuer extrem nahekam, wurden die Pferde und anderen Tiere nicht beeinträchtigt. Wir hatten Evakuierungsprotokolle vorbereitet, die je nach Tierart unterschiedlich waren, mussten sie glücklicherweise jedoch nicht aktivieren. Die Protokolle sahen vor, die Tiere zu einer Wasserstelle zu bringen, an der sich zwei Flüsse kreuzen, etwa 600 Meter vom Haupthaus entfernt. Dieser Bereich ist das wasserreichste und am wenigsten bewachsene Gebiet auf unserem Gelände.

Vorbereitung auf die Zukunft

Diese Erfahrung hat uns eine klare Lektion erteilt: Beim nächsten Mal werden wir besser vorbereitet sein. Wir wissen nun, wie sich ein Feuer im Gebirge verhält und welche Techniken nötig sind, um es zu bekämpfen. Vor allem haben wir die Bedeutung unserer Gemeinschaft und die Einschränkungen durch den Staat klar erkannt.

Deshalb werden wir in mehreren Bereichen aktiv werden: Erstens planen wir ein Ausbildungsprogramm auf dem Gnadenhof, um Nachbarschaftsbrigaden im Umgang mit Feuerbekämpfung zu schulen. Zudem testen wir neue Technologien zur Früherkennung, denn diese sind entscheidend, um zu verhindern, dass aus einer kleinen Flamme eine Katastrophe entsteht. Weiter werden wir unsere Ausrüstung verbessern, indem wir geeignete Kleidung, spezielles Schuhwerk, Handwerkzeuge, Drohnen und Geländemotorräder anschaffen, um effizienter beim Löschen von Bränden zu sein.

Ausserdem führen wir rechtliche Schritte und journalistische Untersuchungen durch, um die wahren Verantwortlichen für diese Tragödie zu finden. In Córdoba wurden bereits elf Personen wegen Brandstiftung festgenommen, doch wir wollen die eigentlichen Drahtzieher aufdecken. Laut neuesten Studien werden mehr als 90 Prozent der verbrannten Flächen später für Viehzucht, Bergbau oder Immobilienspekulation genutzt.

Zusätzlich zu den laufenden Naturschutzplänen für den Baum Horco quebracho und die Blume Mimosa cordobensis streben wir einen Nachbarschaftskonsens an, um Pläne zur Wiederaufforstung der am stärksten betroffene Gebiete umzusetzen. Alle Verbesserungspläne werden in einem audiovisuellen Projekt dokumentiert, das wir während der Tage des Kampfes gegen die Flammen begonnen haben.

Neue Zeiten

Im Jahr 2024 wurden in Lateinamerika über 350’000 Waldbrände gemeldet, im Vergleich zu 40’000 im Jahr 2022 und 190’000 im Jahr 2023. Dies macht 2024 zum schlimmsten Jahr, das die Zahlen des Vorjahres fast verdoppelt. Brasilien, Bolivien, Argentinien, Ecuador, Paraguay, Venezuela, Kolumbien – in all diesen Ländern und Ökosystemen gibt es ein gemeinsames Problem: Gesetze, die die Ausbeutung verbrannter Flächen erleichtern, die vor den Bränden geschützt waren.

Wir müssen akzeptieren, dass die Zukunft von der Klimakrise geprägt sein wird und – vielleicht noch besorgniserregender – von der Krise menschlicher Gier. Die Geschichte von Sardanapal erinnert uns daran…

Der Legende nach war Sardanapal der letzte König von Assyrien, bekannt für sein Leben im Überfluss und umgeben von Luxus und Vergnügen, während sein Reich zerfiel. Als seine Feinde die Hauptstadt Ninive belagerten, liess er, anstatt sich der Realität zu stellen, eine riesige Mauer aus brennbaren Materialien wie Holz und Möbeln errichten, um ein Feuer zu legen, das ihm als Schutz vor seinen Feinden dienen sollte. In der Mitte dieser Mauer liess er sich mit all seinen Reichtümern, Sklaven und Konkubinen nieder. Entschlossen, auf nichts zu verzichten, was er als sein Eigen betrachtete, wurde Sardanapal schliesslich von seinen eigenen Flammen verschlungen. Diese Blindheit gegenüber dem drohenden Untergang müssen wir vermeiden. Die Menschheit darf nicht wie Sardanapal sein, der alles um sich herum niederbrennt, um am Überflüssigen festzuhalten, und dabei selbst zugrunde geht! Wir haben noch Zeit, zu reagieren und zu erkennen, dass unsere Zeit, wie die des alten Königs, abläuft. Doch anders als er, können wir noch einen anderen Weg wählen.

 

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