01.12.2025
Tomas Sciolla

Lunos Schicksal änderte sich in einer Vollmondnacht

Luno kam humpelnd, hungrig und verwirrt auf dem Gnadenhof Equidad an. Mit überwachsenen Hufen, schmerzhaften Zahnfehlbildungen und systemischen Entzündungen war er bis dahin auf sich allein gestellt gewesen. Dank seiner Betreuung kann er nun ein würdevolles, schmerzgemindertes Leben auf Equidad führen.

Es war der 8. August 2025, gerade als die Dämmerung einsetzte und der grösste Vollmond, den wir je gesehen hatten, über den Hügeln aufging. Luno war an einer Strasse neben einer stark befahrenen Autobahn ausgesetzt worden. Nach Stunden voller Hupen, quietschender Bremsen und Beinahe-Unfälle sollte sich in dieser Nacht für Luno vieles zum Guten ändern.

Lunos Rettung begann mit einem Anruf der Polizei: Ein Pferd stand allein auf einer Strasse, gefährlich nah an einem stark befahrenen Verkehrskorridor. Es gab weder Schutz noch Futter. Anwohner hatten bereits Beinah-Kollisionen gemeldet. Die Polizei eröffnete ein offizielles Verfahren und genehmigte die Rettung durch unseren Gnadenhof Equidad. Gemeinsam versuchten wir, den Besitzer zu identifizieren und zu kontaktieren. Trotz aller Bemühungen meldete sich niemand. Eine Untersuchung ist weiterhin offen, um herauszufinden, wer ihn ausgesetzt hat.

An diesem Abend, unter dem hellsten Mond des Jahres, nahmen wir ihn auf Equidad auf. Wir gaben ihm den Namen Luno – ein maskulines Echo auf luna, Mond, der seinen Wendepunkt bezeugte.

Dieser Fall geht über ein einzelnes Leben hinaus: In Argentinien werden viele Pferde als Werkzeuge eingesetzt, um Müll oder andere Lasten zu ziehen. Wenn sie nicht mehr arbeiten können oder verletzt sind, werden sie oft einfach «entsorgt». Das ist Aussetzen – und es hat Folgen, die wir nicht ignorieren. Wir sehen hin, und wir handeln.

Angst, Schmerzen und erste Schritte

Bei seiner Aufnahme auf Equidad war Luno sehr misstrauisch: Er mied Kontakt, zuckte zusammen bei schnellen Bewegungen und zögerte beim Fressen – hauptsächlich ausgelöst durch physische Schmerzen. Eine Zahnuntersuchung bestätigte scharfe Kanten und ungleichmässigen Abrieb, was das Kauen erschwerte. Wir riefen unseren Pferdezahnarzt; nach sorgfältigem Abschleifen frass Luno bereits wenige Stunden später erleichtert. Blutwerte und klinische Befunde zeigten systemische Entzündungen, daher begannen unsere Tierärzte mit Schmerztherapie und Entzündungshemmern, ergänzt durch Antibiotika. Zusätzlich leidet Luno an einer Beinverletzung, die im Zusammenhang mit einem Tumor steht, der normales Wachstum stört und dadurch ungleichmässige Hufveränderungen verursacht. Diese Erkrankung erfordert spezialisierte, lebenslange Hufpflege, um Komfort und Beweglichkeit zu sichern. Wir zogen unseren Hufpfleger hinzu – denselben Spezialisten, der unsere Herde wöchentlich betreut –, denn Hufpflege dieser Komplexität verlangt Fachwissen, das über routinemässige tierärztliche Arbeit hinausgeht.

In den ersten 72 Stunden folgten wir einem vorsichtigen Stabilisierungsplan: Flüssigkeitstherapie, Schmerzbehandlung, langsame Wiederanfütterung zur Vermeidung metabolischer Komplikationen, Vitaminunterstützung sowie ruhiger Umgang, um Stress und Schreckreaktionen zu minimieren. Wir stellten für Luno eine spezielle Diät zusammen, die ihm half, Gewicht zuzulegen, ohne seinen Organismus zu überlasten. In den darauffolgenden Wochen – inzwischen sind es rund zwei Monate Behandlung – kam sein Appetit zurück, seine Haltung verbesserte sich und sein Blick wurde wacher und weicher.

Rechtliche Nachverfolgung und was wir gelernt haben

Diese Rettung war offiziell autorisiert. Vom ersten Anruf an koordinierten wir alles mit der Polizei, dokumentierten Beweise und versuchten, den Besitzer ausfindig zu machen – bislang leider ohne Erfolg. Diese Dokumentation ist entscheidend: Sie schafft Präzedenzfälle, die Rechtsdurchsetzung ermöglichen. Sie stärkt auch die Aufklärung: Wenn Bürger Unrecht melden und Behörden reagieren, lassen sich Tragödien verhindern.

Pferde vor Aussetzen schützen – und ihre Nutzung als Lasttiere beenden

Der Ort, an dem Luno gefunden wurde – eine Strasse neben einer Autobahn – zeigt, warum dieses Problem nicht als privates Unglück abgetan werden darf. Aussetzen ist oft das letzte Kapitel eines Arbeitslebens, das nie hätte verlangt werden dürfen. Der Einsatz von Pferden zum Müllziehen setzt sie chronischen Schmerzen und Verkehrsgefahren aus. Es gefährdet auch die Öffentlichkeit: Ein verlassenes, verängstigtes Tier am Strassenrand verwandelt Vernachlässigung in ein Risiko für die Gemeinschaft.

Auf dem Gnadenhof Equidad reagieren wir auf Notfälle – aber wir arbeiten auch präventiv. Gemeinsam mit lokalen und regionalen Behörden sowie Partnerinstitutionen setzen wir uns für gesetzliche Reformen ein, die die Ausbeutung und das Aussetzen von Pferden ausdrücklich verbieten, die Durchsetzung und Strafen verschärfen, humane Alternativen fördern und öffentliche Aufklärung stärken, sodass Meldungen zur Norm werden.

Gesicherte Zukunft durch spezialisierte Pflege

Heute ist Lunos Zustand stabil und zeigt positive Tendenzen. Er erhält weiterhin regelmässige Hufkorrekturen, Zahnkontrollen nach Bedarf, kontrollierte Bewegung entsprechend seiner Hufbalance sowie eine massgeschneiderte Diät. Er bleibt zurückhaltend gegenüber anderen Pferden und aufmerksam im Umgang mit seinen Betreuern. Die Prognose ist aber gut: Dank unserer Betreuung kann er ein würdevolles, schmerzgemindertes Leben auf Equidad führen.

Lunos Geschichte als Spiegel einer Realität

Lunos Fall legt eine systemische Realität offen – Pferde, die genutzt und dann ausgesetzt werden – und zeigt einen Weg nach vorn: Aussetzungen melden, mit den Behörden koordinieren und umfassende Betreuung bieten, während zugleich auf die rechtlichen Reformen hingearbeitet wird, die diese Grausamkeit an der Wurzel verhindern.

Luno ist nicht einfach irgendein weiterer Fall. Er ist ein fühlendes Lebewesen. Seine Widerstandskraft unter jenem Augustmond erinnert uns daran, warum Gnadenhöfe und Schutzgebiete so wichtig sind: um Gefahr in Sicherheit zu verwandeln, Vernachlässigung in Fürsorge und Krisen in Chancen.

Equidad – Gnadenhof der Fondation Franz Weber

Sie mühen sich ab in den gefährlichen Strassenschluchten von Lateinamerikas Städten. Unter erbärmlichsten Bedingungen, getrieben und geschlagen von ihren Besitzern, den Müllsammlern, schleppen sie alte, klapprige Karren, überladen mit buchstäblich untragbaren Bergen von Sperrgut und Abfällen. Die Müllpferde. Zehntausende Müllpferde warten allein in Argentinien auf ihre Befreiung.

Um diesem in ganz Lateinamerika noch weitverbreiteten Leid entgegenzuwirken, errichtete die Fondation Franz Weber (FFW) den Gnadenhof Equidad.

Auf Equidad nimmt die FFW befreite Müllpferde auf, versorgt sie medizinisch, pflegt sie und schenkt ihnen ein neues Leben in Frieden und Würde.

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