Mit erschreckender Selbstverständlichkeit und nie dagewesenem Tempo hat das Parlament während der Herbstsession dem Naturschutz den Schuh gegeben, unsere Verfassung verletzt und die demokratische Mitsprache des Volkes erfolgreich und widerrechtlich ausgehebelt.
Wer die erste Debatte des Ständerates über das Energiegesetz mitverfolgte, staunte nicht schlecht – gelinde ausgedrückt. Da wurden kurzerhand der Natur- und Landschaftsschutz sowie die Schweizer Alpen auf dem Altar der Energieversorgung und des Klimaschutzes geopfert. Geschickt und ehrlich sei das revidierte Energiegesetz, denn es beinhalte ein zusammenhängendes Konzept mit zwei Beinen. Schneide man ein Bein ab, so sei das Gleichgewicht gestört, argumentierte die übermächtige Befürworterseite. Welch technokratisches Geschwätz in der kleinen Kammer, die scheinbar jegliche Orientierung verloren hat. Der in der Nationalhymne besungene Alpenfirn soll sich in Zukunft nicht mehr röten, sondern im Strahlenmehr der Solarpanels ertrinken. Betet, freie Schweizer, betet!
Dammbruch im Natur- und Landschaftsschutz
Angst und Panik zu schüren, hat sich als wirkungsvolle Methode etabliert, um dem Volk «aussergewöhnliche» Massnahmen «beliebt» zu machen. Seit Monaten vergeht keine Woche, in der die zuständige Bundesrätin und die Energielobby nicht einen Blackout, eine Stromknappheit sowie Kälte, Kerzenlicht und Duschverbote androhen. Das Parlament nutzt diese «Gunst der Stunde» und verabschiedet ein für dringlich erklärtes Gesetz, welches vorsieht, dass der Bau von Solaranlagen in unseren intakten Alpen allen anderen Interessen «grundsätzlich» vorgeht, auch dem Natur- und Landschaftsschutz. Die Planungspflicht für diese Grossanlagen wurde schlicht aufgehoben. Einzig Moore, Biotope von nationaler Bedeutung sowie Wasser- und Zugvogelreservate sind als Standorte ausgeschlossen. Ansonsten gilt: Naturräume dürfen mit Solarpanels bebaut werden, ohne sich um lästige Umweltauflagen kümmern zu müssen oder ein ordentliches Bewilligungsverfahren zu durchlaufen.
Und dies ist erst der Anfang, denn in der Wintersession soll ein weiteres dringliches Gesetz «zur Beschleunigung von fortgeschrittenen Windparks und von grossen Vorhaben der Speicherwasserkraft» verabschiedet werden. Das ganze Vorgehen ist derart gut inszeniert, dass Medien wenig kritisch die Absicht des Bundesrates und des Parlaments flankieren, Tausende von Sonnenkollektoren und Windrädern in unseren schönsten Landschaften zu installieren.
Expresstempo gegen demokratische Mitsprache
Eine Vorlage des Bundesrates oder eine parlamentarische Initiative muss ein Vernehmlassungsverfahren durchlaufen, währenddem sich alle relevanten und interessierte Kreise äussern können. Doch bei der dringlichen Revision des Energiegesetzes wurden verschiedene Ergänzungen von der vorberatenden Kommission des Ständerats in die Vorlage eingefügt – nachträglich und ohne dazu eine Vernehmlassung nachzuholen. Im Expresstempo wurden die üblichen demokratischen Prozesse in Grund und Boden gefahren. Hinzu kommt, dass die dringlich erklärte und umgehend in Kraft gesetzte Revision des Energiegesetzes das Referendumsrecht faktisch aushebelt. Dies, obwohl die Massnahmen keinen Beitrag zur Stromproduktion im kommenden Winter leisten und die Dringlichkeit deshalb nicht gegeben ist. Diese «dringlichen» Massnahmen sollen den Eindruck erwecken, dass sie die Stromlücke im kommenden Winter schliessen könnten, dabei wird es Jahre brauchen, bis diese Solaranlagen gebaut werden und ans Netz können. In einem Arbeitspapier an die Umwelt- und Energiekommission kommt das Bundesamt für Justiz folgerichtig zum Schluss, dass angesichts der Konflikte mit verschiedenen Verfassungsbestimmungen die Vorlage einem obligatorischen Referendum zu unterstellen sei. Dies bedeutet, dass die Vorlage automatisch und ohne Unterschriftensammlung dem Volk vorgelegt werden muss. Doch selbst über diesen Einwand des juristischen Gewissens der Bundesverwaltung setzte sich das Parlament hinweg.
Der unersetzliche Wert der Natur
Nachdem der Rechtsstaat unterlaufen und die direkte Demokratie demontiert wurde, befiehlt das Parlament den uneingeschränkten Angriff auf unsere (noch) intakte Natur und wertvollen Landschaften, auf die wir viel dringender angewiesen sind als auf einen zufälligen Zusatz an elektrischem Strom. Die Ausbreitung von Siedlungen und Infrastrukturen sowie die ungezügelte Zunahme der Bevölkerung üben einen immer grösseren Druck auf die Naturräume aus, die Tag für Tag kleiner werden. Und wenn es um den Klimaschutz geht, sollten wir nicht vergessen, dass natürliche Ökosysteme unsere wichtigsten Verbündeten in der Eindämmung des Klimawandels sind, da sie viel CO2 absorbieren und extreme Wetterereignisse abmildern.
Zudem brauchen wir Räume mit unberührter Natur für unsere Gesundheit und unser seelisches Gleichgewicht. In unserer zunehmend verstädterten Welt gewinnt der Erholungswert der Natur an Bedeutung, sie wird als Urlaubsziel, für Sonntagsausflüge oder zum Wandern gesucht und ist Teil unserer Identität. Die bereits erwähnte Schweizer Nationalhymne besingt die «Schönheiten des Vaterlandes, die zur ergriffenen Seele sprechen».
Das Risiko, wichtige Institutionen abzubauen
Eine Notsituation kann zwar aussergewöhnliche Massnahmen rechtfertigen, darf aber nicht die Strukturen und Prozesse gefährden, die das Fundament unserer Demokratie und die Grundlage für den Erfolg unseres Landes und unseres Wohlstands bilden. Sie steht im Widerspruch zu den Grundsätzen der Verfassung und des Übereinkommens von Aarhus, welches vom Parlament am 27. September 2013 bestätigt wurde. Das Übereinkommen sichert den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren sowie den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Durch die Ausklammerung von Raumplanungs- und Umweltgesetzen und die Erklärung, dass ein nationales Interesse allen anderen Interessen übergeordnet ist, wird das Beschwerderecht der Umweltverbände faktisch abgeschafft. Bei diesen Projekten mit erheblichen Beeinträchtigungen von Landschaft und Natur wird es also keine Interessenabwägung oder Abstimmung mehr geben können.
Es gibt Lösungen ohne Zerstörungen
Bei dem politischen Aktivismus vergisst man, dass es andere Wege gibt. Die nachhaltigste Art, Energieressourcen zu schonen, ist die Mässigung unseres Verbrauchs und der Kampf gegen die Verschwendung. Die jüngsten Appelle des Bundesrates zu diesem Thema sind erfreulich, aber auch ein wenig deprimierend, wenn man sich daran erinnert, dass es die gleichen Rezepte sind, die Umweltorganisationen bereits in den 1970er-Jahren vorgeschlagen haben. Heute gibt es ein riesiges Potenzial für die Erzeugung von erneuerbarem Strom, ohne dass die Natur geschädigt werden muss. Laut einer vom Bundesamt für Energie (BFE) veröffentlichten Studie beträgt das Potenzial an Sonnenenergie, das auf Schweizer Gebäuden genutzt werden kann, 67 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Dies entspricht 110 Prozent des Stromverbrauchs in der Schweiz. In diesem Punkt hat sich das Parlament nicht geirrt, da es ein ganzes Kapitel des revidierten Gesetzes der Förderung von Solarenergie auf Infrastrukturen widmet. Das bedeutet: Das «Zukleistern» der Alpen mit Solaranlagen ist nicht nur schädlich, sondern überflüssig. In den Bergen gibt es eine Vielzahl von Infrastrukturen, Gebäuden, Dämmen und Strassen, die mit Solaranlagen ausgestattet werden können, ohne die Natur zu beeinträchtigen. Zudem sind Solaranlagen, die in sogenannten intelligenten Nachbarschaftsnetzen zusammengeschlossen sind, effizienter und kostengünstiger als grosse Erzeugungsanlagen, die weit vom Verbraucher entfernt sind und hohe Energieverluste für den Transport und die Pumpspeicherung mit sich bringen.
Fazit
Eine Notsituation kann keinen Abbau der demokratischen Institutionen rechtfertigen, welche die Stärke unserer Gemeinschaft ausmachen, den Erfolg unseres Landes und das Wohlergehen seiner Bevölkerung garantieren.
Solarenergie auf bestehenden und neuen Bauten ist der vernünftige Weg, um Gletscher zu retten und den Klimawandel einzudämmen. Eine Ökologie gegen die Natur wird sich hingegen gegen uns wenden. Ohne kritischen Widerstand der Bevölkerung und der Umweltverbände riskiert man die Flucht in absurde, mit Steuergeldern hochsubventionierte Projekte, die unsere schönsten Landschaften zerstören.