27.11.2024
Diana Soldo

Zerstörerische Holzfällerei unter dem Vorwand der Sicherheit

Immer wieder werden in der Schweiz ganze Waldflächen zerstört, unter dem Vorwand, aus Sicherheitsgründen müsste geholzt werden, um das Herabstürzen von Ästen oder das Umstürzen von Bäumen zu verhindern. Dabei werden die verbleibenden Bäume stark geschwächt, der Wald erheblich geschädigt und das Leben der Tiere beeinträchtigt, wie ein Beispiel aus einem Tobel zeigt.

Häufig wird in Wäldern unter dem Vorwand der Sicherheit gerodet. Kranke Bäume, wie etwa solche, die unter Eschentriebsterben leiden oder vom Borkenkäfer befallen sind, müssen entfernt werden, so die Begründung. Auch in einem Tobel an der Grenze zur Stadt Zürich wurde kürzlich grossflächig abgeholzt.

Folgen übertriebener Massnahmen

Auf die Frage, warum in diesem Tobel so stark abgeholzt wurde, fielen die Begründungen der Verantwortlichen unterschiedlich aus: Es gehe um die Sicherheit der Erholungssuchenden oder um den Hochwasserschutz. Der Hochwasserschutz sei nicht gewährleistet, wenn nicht regelmässig grosse – oder angeblich kranke – Bäume entfernt würden. Viele der Bäume seien krank gewesen und hätten gefällt werden müssen. Als Ergebnis wurde massiv ins Waldbild entlang des Bachbetts eingegriffen; nur wenige Bäume wurden stehen gelassen.

Paradoxerweise wurde die Sicherheit durch den Eingriff nicht verbessert, sondern verschlechtert. Die verbleibenden Bäume wurden teilweise von den Forstarbeiten stark beschädigt, sind nun instabiler als vor dem Eingriff und stellen ein neues Sicherheitsrisiko dar. Sie sind veränderten Licht-, Wasser-, Schnee- und Windverhältnissen ausgesetzt, was das Risiko von Sonnenbrand, Bruch und Umsturz erhöht. Das Absterben von Ästen und ganzen Bäumen ist vorprogrammiert. Ein Teufelskreis nimmt seinen Lauf, der erst enden wird, wenn sich eine neue, dichte und schützende Waldkrone gebildet hat – was Jahrzehnte dauern kann.

Nicht nur die verbleibenden Bäume sind geschwächt; das gesamte Ökosystem wird nach so einem Eingriff anfälliger. Durch das Fehlen des schützenden Kronendachs und die Verletzlichkeit des nackten Bodens verändert sich der ganze Lebensraum. 

Die wertvolle Humusschicht wird weggespült, und die verbliebenen Wurzelstöcke können den Hang nicht mehr sichern. Der durch Erosion betroffene Boden ist nicht mehr in der Lage, grosse Wassermengen zu speichern, was das Hochwasserrisiko erhöht. Zudem erhitzen sich im Sommer Böden und Wasser überdurchschnittlich stark, während im Winter der fehlende Schutz der Bäume zu Frost und Vereisungen führt. Lebewesen auf und unter dem Boden sowie im Wasser, die sich über Jahrzehnte an die schattigen und feuchten Bedingungen angepasst haben, verenden. Feucht- und schattenliebende Arten, die in einem Wald angesiedelt sind, haben Mühe nachzuwachsen. Gleichzeitig breiten sich neue Arten aus, darunter invasive Neophyten und Schädlinge, was zu einem Rückgang der Biodiversität führt.

Auch Tiere sind betroffen

Das Fällen von Bäumen zerstört oder verändert ebenso die natürlichen Lebensräume vieler Tiere. Durch die Rodung verlieren zahlreiche Tiere nicht nur ihre Lebensräume, sondern auch ihre Nahrungsquellen – im schlimmsten Fall sogar ihr Leben.

Vögel, die in den Baumkronen nisten, verlieren ihre Brutplätze, während die lebensnotwendigen Höhlenbäume, die Fledermäusen, Spechten und anderen Tieren als Unterschlupf dienen, entfernt werden. Auch der Waldboden und seine Streuschicht, die zahlreichen Kleintieren als Lebensraum und Nahrungsquelle dienen, werden stark gestört. Bachläufe, die einst von Schatten geschützt waren, sind nun der Sonne ausgesetzt und bieten vielen Tieren keinen passenden Lebensraum mehr. Für Bienen, Käfer, Würmer, Reptilien, Schnecken, Frösche und viele andere führen Veränderungen der Pflanzenzusammensetzung und -verteilung sowie die Störung der Bodenstruktur und Wasserläufe zum Verlust ihrer Lebensräume und zu Nahrungsknappheit. Schlafplätze, Winterquartiere, Rückzugsorte und Futterquellen verschwinden.

Gezielte Eingriffe statt Abholzen

Eine allumfassende Sicht der Situation hilft schonendere Ansätze zu finden. Anstatt ganze Hänge abzuholzen, sind gezielte Eingriffe sinnvoll, so dass die Ökosysteme ihre Funktion bewahren können. 

Was das Fällen von Bäumen betrifft, könnte man die zu entfernende kritische Bäume sorgfältig anzeichnen und sicherstellen, dass die zuständigen Förster und Unternehmer nur die markierten Bäume fällen. Sorgfältiges Holzen würde verhindern, dass anderen Bäumen und dem Boden Schaden zugefügt wird. Gefährliches Totholz könnte aus den Baumkronen entfernt werden, ohne die Bäume fällen zu müssen. In Bezug auf die Sicherheit für Erholungssuchende könnte man kritische Wege vorübergehend absperren – ein Weg oder ein Parcours kann auch einmal für eine intakte Natur weichen – wir sind nicht die einzige Art, die den Wald beansprucht. Mit solchen schonenden Massnahmen kann der Wald geschützt und gleichzeitig Geld gespart werden.

Oft werden dafür öffentliche Gelder ausgegeben. Es sollte überlegt werden, was damit finanziert wird: Muss jeder Wald bewirtschaftet werden? Müssen wir ständig für die Forstwirtschaft Arbeit beschaffen? Dürfen sich Privatunternehmen selbst Aufträge geben und Gewinne einstecken?

Neue Perspektiven gefragt

Es darf nicht mehr so weitergehen wie bisher! Der Wald sollte nicht unter dem Vorwand von Sicherheitsmassnahmen verschandelt werden, was oft die Sicherheit vermindert und nicht erhöht. Die Bewirtschaftung des Waldes muss Rücksicht auf ökologische Gegebenheiten nehmen. Er ist Heimat für Tausende von Lebensformen: Bäume, Kräuter, Moose, Pilze, Flechten, Säugetiere, Vögel, Reptilien, Fische, Insekten und viele mehr. Der Wald selbst sollte ein Recht auf ein würdiges Dasein haben. Denn wenn es dem Wald nicht gut geht, wird es auch uns nicht gut gehen.

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