16.05.2019
Prof. Dr. Markus Wild

Abschied vom «Ozeanium». Zukunft braucht keine Nostalgie.

Manchmal versteht man die Welt nicht mehr. So geht es zurzeit einem Teil der lokalen SP-Prominenz, wenn sie Kritik am Basler «Ozeanium» hört. Alt-Nationalrat Helmut Hubacher, Alt-Regierungsrat Peter Schmid und der ehemalige Präsident der SP Basel-Stadt Roland Stark – sie alle treten als Fürsprecher des «Ozeanium» in die Öffentlichkeit. Den Basler Zoo kritisieren, ja darf man denn das?

Helmut Hubacher ist besorgt und vertraut dem Zoo. Peter Schmid ist nachdenklich und glaubt dem Zoo. Und Roland Stark ist inzwischen ganz aus seiner Haut gefahren. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Nostalgie. Der eine schaut wehmütig auf Erlebnisse mit dem Zackenbarsch Fritz zurück, der nächste erinnert sich an die Elefantenkuh Ruaha, und der dritte hat schöne Erinnerungen an das Zollipersonal. Das soll ihnen nicht genommen werden. Obwohl ich an Zoobesuche eher triste Erinnerungen habe, hat es auch schöne darunter.

Allein, was hat das mit dem Zukunftsprojekt «Ozeanium» zu tun? Es wäre gerade heute wichtig, mit frischen Ideen in die Zukunft zu blicken und endlich wirksame Massnahmen gegen die Umwelt- und Tierzerstörung zu ergreifen. Das Jahr 2019 könnte einmal als Wendejahr in die Geschichte eingehen, in dem wir damit endlich ernsthaft begonnen haben. Es sind die jungen Menschen, die diesen Weg entschlossen gehen wollen und bereit sind, Verzicht zu leisten, kreativ zu sein und Neues auszuprobieren. Es fällt vielen Menschen schwer, auf schwierige Aufgaben voraus zu blicken und von liebgewonnen Vorstellungen Abschied zu nehmen, das gilt auch für mich. Da ist es leichter, die Vergangenheit zu verklären, etwa mit schönen Zooerlebnissen.

Dabei wäre es eigentlich recht einfach in die Zukunft zu blicken, nämlich mit Empathie. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 fand in meiner Wohngemeinde Zeglingen eine denkwürdige Gemeindeversammlung statt. Man wollte stärker die Sonnenenergie nutzen und hat das seither auch getan. Während der Versammlung ergriff ein altgedienter, bürgerlicher Landrat das Wort. Er sagte, er sei früher ein überzeugter Verfechter der Atomenergie gewesen. Mit Blick auf seine Kinder und auf Enkel aber müsse er heute zugeben, dass das ein Irrtum gewesen sei. Heute sehe er, dass es so nicht weiter gehe. Dieser Mann, der mich sehr beeindruckte, hat die Opposition gegen die ihm teure Atomkraft leicht fassen können. Statt nostalgisch in Erinnerungen zu schwelgen, hat er sich durch Empathie in die Haut der kommenden Generationen hineinversetzt. Vielleicht wäre für die Zoo-Nostalgiker (es sind seltsamerweise überwiegend Männer) die Opposition gegen das «Ozeanium» fassbarer, würden sie dasselbe versuchen. Aber sind denn Meeresaquarien und Atomkraftwerke vergleichbar? Ja, nämlich darin, dass beides Auslaufmodelle sind.

Umdenken ist nicht immer einfach, auch wenn es dringend nötig wäre. Vor etwa zehn Jahren hat die Eidgenössische Ethikkommission angefragt, ob ich ein Gutachten über Schmerzen bei Fischen verfassen möchte. Ich war skeptisch, weil ich offen gestanden nicht viel von Fischen hielt: dumm und stumm. Zum Glück bin ich einem Neuenburger Biologen begegnet, der mir ein Video zeigte. Darin konnte man sehen, wie ein Zackenbarsch (es war nicht Fritz) eine Muräne abholt, um mit ihr gemeinsam auf die Jagd zu gehen. Seither habe ich viele solche Videos gesehen, Artikel dazu gelesen und mit BiologInnen gesprochen, die Fische erforschen. Offenbar war mein Bild vom Fisch völlig falsch. Tatsächlich hat die Forschung der letzten 20 Jahre ein neues Bild vom Fisch gezeichnet. Ich habe mein Gutachten über Schmerz bei Fischen 2011 bei der Eidgenössischen Ethikkommission eingereicht, ebenso wie der Biologe Helmut Segner vom Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin in Bern. Wir sind beide zum Resultat gekommen, dass die entsprechenden Forschungen nahelegen, dass Fische erstaunlich lernfähige und schmerz- und leidfähige Tiere sind, die auch soziale Emotionen erleben. Seither esse ich auch keinen Fisch mehr. Dieser eigentlich einfachen Massnahme gegen Überfischung folgen immer mehr Menschen.

Wir haben heute ein neues Bild vom Fisch. Wir haben drängende Zukunftsprobleme, die jetzt mit frischen Ideen angepackt werden müssen. Das verlangt von uns ein Umdenken und den Abschied von liebgewonnen Gewohnheiten, wie es dies von mir verlangt hat. Ein Grossaquarium wie das «Ozeanium» ist ein veraltetes, verspätetes Instrument für dieses Umdenken. Die Überfischung und das Grossaquarium sind aus demselben Geiste geboren: Man will das Meer bei sich zuhause, sei es auf dem Teller oder im Naherholungsgebiet. Dass dabei ein paar Fische mehr oder weniger draufgehen, was soll’s, sind ja nur Fische. Wie kann uns ein Grossaquarium für eben jenes Problem sensibilisieren, dessen Bestandteil es selbst ist? Und eine «Sensibilisierung» ab 2024 reicht nicht nur nicht, diese Vertröstung auf später kann sogar schädlich sein. Nostalgie übrigens auch. Darum ist dieses schön klingende Wort 1688 als medizinischer Ausdruck eingeführt worden, und zwar an der Universität Basel.

 

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