15.07.2020
Alejandra Garcia

Alarm auf Equidad

Die Covid-19-Krise hat uns auf dem Gnadenhof nicht verschont: Neben Versorgungsproblemen sieht sich unser Team einem beunruhigenden Anstieg der Kriminalität ausgesetzt. Täglich wird versucht Tiere zu stehlen. Da wir uns um das Dasein unserer Schützlinge und auch um unser eigenes Leben fürchten, müssen wir den Pferde-Gnadenhof dringend an einen sicheren Ort verlegen.

Das Leben auf Equidad ging seinen gewohnten Gang, und dann kam Covid-19. In Argentinien entschied die Regierung, dem Beispiel von Ländern wie Spanien und Italien zu folgen, die eine vollständige Ausgangssperre für ihre Bürgerinnen und Bürger verhängten. Zwar können wir diese Vorsorgemassnahme, mit der eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden sollte, nur begrüssen. Denn die Gesundheitsversorgung in Argentinien könnte einen massiven Anstieg von Krankheitsfällen nicht bewältigen. Doch die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses plötzlichen Stillstands für unser Land und für uns auf Equidad sind verheerend.

Schwere Wirtschaftskrise
Die Lage war bereits schlecht, jetzt ist sie entsetzlich. Das Leben ist in Argentinien ohnehin schon nicht leicht für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, die kaum über die Runden kommt.
Daher führte die Krise hier vor allem dazu, dass einige Menschen sich aufs Stehlen verlegten, um zu überleben. Mit unserem kleinen Flecken Paradies und unseren zahlreichen Schützlingen, die für viele lediglich «Gebrauchsgegenstände» darstellen, wurden wir sofort zur Zielscheibe. Durch die Verlängerung der ursprünglich für zwei Wochen geplanten Quarantäne – nun sind wir bereits seit über 45 Tagen isoliert – wurde die Gewährleistung unserer Sicherheit und der unserer zwei- und vierbeinigen Freunde zu einem ständigen Kampf.

Umwälzungen
Von aussen betrachtet mag unsere Situation für all jene, welche die Ausgangssperre auf engem Raum in der Stadt erleben und manchmal noch nicht einmal das Tageslicht zu sehen bekommen, idyllisch erscheinen: Wir verbringen die Quarantäne inmitten der Natur, umgeben von wundervollen Tieren. Doch in Wirklichkeit sind die Dinge leider nicht so einfach.
Die ersten Umwälzungen waren vor allem praktischer Natur: Zu Beginn der Pandemie, als die Ausgangssperre erstmals für einen bestimmten Zeitraum verhängt wurde, mussten wir die Ankunft neuer Freiwilliger, die zu uns hätten stossen sollen, aussetzen. Da der Betrieb von Flughäfen und Fernbussen eingestellt worden war, war es auch für die vier jungen Frauen, die aus verschiedenen Orten Argentiniens bei uns waren, um uns zur Hand zu gehen, unmöglich, zurück zu ihren Familien zu gelangen. Und so waren wir alle gemeinsam auf dem Gnadenhof eingeschlossen.
Wir mussten uns also rasch organisieren, um noch vor Inkrafttreten der langfristigen Ausgangssperre essentielle Einkäufe zu tätigen. Da Equidad in einer abgelegenen ländlichen Gegend liegt, mussten wir 160 Kilometer bis nach Cordoba fahren, um dort genügend Medikamente und Nahrungsmittel zu kaufen. Die Tiere und wir sollten sicher zwei Monate davon leben können, ohne den Gnadenhof verlassen zu müssen. Als zu allem Überfluss unsere Wasserhähne dann noch anfingen, braunes Wasser auszuspucken, mussten wir wegen des Ausfalls der öffentlichen Kläranlage auch noch Geld in eine Trinkwasseraufbereitungsanlage investieren.

Gefahr für unsere Schützlinge
Mehr Einschränkungen hätte es eigentlich nicht geben müssen… Doch leider fingen die Probleme da erst richtig an. Getrieben von Verzweiflung und Habgier, wandten sich viele Menschen der Kriminalität zu, und machten uns dabei zu Kollateralopfern. Seit Beginn der Quarantäne haben wir nicht weniger als fünf Diebstahlversuche vereitelt! Die Angreifer begannen damit, Umzäunungen zu zerschneiden, um die Pferde und Rinder zu stehlen. Nichts hält sie ab, egal zu welcher Stunde: Wir überraschten sie in der Nacht ebenso wie am helllichten Tag! Unsere Bitten bei der Polizei und dem für die Sicherheit zuständigen Minister der Provinz stiessen auf taube Ohren. Es war unmöglich, Schutz zu erhalten. Uns wurde klar: Wir müssen uns all diesen Herausforderungen und Gefahren alleine stellen.
Da wir uns kein leistungsfähiges Sicherheitssystem beschaffen konnten, arrangierten wir uns mit dem, was zur Hand war. Aus einigen Stücken Altmetall und den Relikten einer Elektronikanlage bastelten wir kurzerhand ein behelfsmässiges Alarmsystem, um gewarnt zu sein, wenn sich jemand daran macht, den Zaun zu durchtrennen.

Es droht eine Eskalation
Doch die provisorischen Installationen bilden nur einen schwachen Schutzwall gegen unsere Angreifer. Die nämlich sind häufig bewaffnet, so dass wir in ständiger Angst leben. Was können wir gegen sie ausrichten, wenn sie beschliessen, uns Gewalt anzutun? Bei der Polizei beschweren wir uns weiterhin vergeblich. Zwar melden wir jedes unbefugte Eindringen, doch die Antwort ist stets dieselbe: «Solange wir die Täter nicht auf frischer Tat ertappen, können wir nichts tun.»
Also halten wir abwechselnd Wache. Wir schlafen nur ganz leicht und achten auf jedes Geräusch. Dank unserer Wachsamkeit gelang es uns zweimal, einige Eindringlinge zu identifizieren, was unsere Sorge nur noch verstärkte: Einer von ihnen ist der Inhaber einer Metzgerei… Vermutlich sucht er nach «Ware» für sein Geschäft. Auch einigen unserer jungen Nachbarn misstrauen wir, da mehrere Vorfälle darauf hindeuten, dass sie sich mit unlauteren Absichten in der Nähe unserer Tiere herumtreiben.

Ständige Anspannung
Es ist ein Wunder, dass wir noch keine Verluste verzeichnen mussten: Mehrmals schrammten wir nur knapp an der Katastrophe vorbei. Einmal rannte eine unserer Stuten panisch und mit einem Strick um den Hals auf uns zu. Als wir hinausgingen, um nachzusehen, was passiert war, bemerkten wir, dass der Zaun des Geheges auf einer Länge von 100 Metern auf der Erde lag. Die Kühe, die genauso verängstigt waren wie die Stute, waren schweissgebadet. Ihre Scheu hat sie wahrscheinlich gerettet: Ausser unserem Team lassen sie niemanden in ihre Nähe.

Es gibt nur eine Lösung: Umziehen
Die Situation ist nicht länger tragbar. Wir müssen dringend das neue Gelände kaufen, von dem wir seit Längerem träumen, und wo wir sicherer wären. Wir machen uns nichts vor: Die Wirtschafts- und Sicherheitslage wird sich am derzeitigen Standort von Equidad nicht verbessern. Wir befinden uns nun seit sechs Jahren an diesem Ort und mussten mitansehen, wie sehr sich die Lage mit jedem Jahr verschlechterte. Die Covid-19-Krise treibt die Probleme nun auf die Spitze: Wir müssen handeln, bevor eine Katastrophe eintritt.
Das Grundsück unserer Träume hat zahlreiche Vorzüge: In einem Gebiet ohne Nachbarn inmitten der Berge gelegen, bleibt es, anders als Equidad, neugierigen und potentiell gefährlichen Blicken verborgen. Dass es nur schwer zugänglich ist, würde etwaige Eindringlinge abschrecken. Zudem ist es ohne präzise Angaben unmöglich zu finden. Die aktuelle Besitzerin, die selbst auch Kühe und Pferde besitzt, kann dies bezeugen: In über 20 Jahren fiel sie keinem einzigen Diebstahl zum Opfer. Und obwohl sie alleine lebt, fühlte sie sich dort niemals unsicher.
Auch in Hinblick auf seine Grösse ist das Gut nicht mit unserem vergleichbar: Während unser derzeitiges Gelände zehn Hektar misst, ist das Grundstück, das wir erwerben möchten, ganze 310 Hektar gross. Damit könnten wir unseren Schützlingen nicht nur idyllische Lebensumstände bieten, sondern auch die natürliche Ernährung unserer Pflanzenfresser gewährleisten. Ganz zu schweigen von den Kosten für Futter und Tierarzt, die wir beträchtlich reduzieren könnten, da die Kühe und Pferde sich von wertvollem Gras ernähren könnten, was die beste Grundlage für ihre Gesundheit ist!
Auch für unser Team ist dies der ideale Platz: Es existieren bereits mehrere Häuser, und was die Umwelt betrifft, ist das Gelände Teil eines von der Regierung geschützten ökologischen Netzes. Zudem verfügt es bereits über ein System von Sonnenkollektoren und über qualitativ hochwertiges Grundwasser zum Trinken. Auf diese Weise könnten wir unseren ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – insbesondere denen, die sich lange bei uns aufhalten – optimale Bedingungen bieten.
Das i-Tüpfelchen? Durch das Landgut fliesst einer der schönsten Flüsse der Region, der Rio San Jerónimo. Er bewässert die Berge und schenkt uns dadurch beinahe ganzjährig schöne Weiden.
Und ein weiterer in Zeiten des Klimawandels nicht zu vernachlässigender Faktor sind die – verglichen mit unserem aktuellen Standort – milderen Temperaturen in der Region. Auch das ist bei einer langfristigen Planung zu berücksichtigen. Denn im vergangenen Sommer stieg das Thermometer auf Equidad auf bis zu 52 Grad!

Insgesamt ist das neue Landstück eine Gelegenheit, die wir uns nicht entgehen lassen dürfen: Und es eilt!
Der neue Standort bietet:

  • Ein Gelände von über 300 Hektar Grösse, so dass wir Kosten für Nahrungsmittel und Futter sparen können
  • Eine natürliche Ernährung und reichlich Platz, was sich auf die Gesundheit unserer Pferde und Rinder äusserst positiv auswirken würde
  • Eine funktionierende Infrastruktur und saubere Energiequellen, mit denen wir einen Beitrag zum Umweltschutz leisten können
  • Einen versteckten Ort inmitten der Berge, wo wir vor Diebstahl und Angriffen geschützt wären
  • Mehrere Gebäude in gutem Zustand, in denen wir mehr Freiwillige aufnehmen und so unsere Handlungsfähigkeit und unsere Rettungskapazitäten ausbauen könnten

Nach allem, was unsere Pferde durchgemacht haben, verdienen sie ein Leben in Frieden und Sicherheit. Und wir ebenfalls! Wir setzen uns mit Leib und Seele dafür ein, unsere tierischen Freunde zu beschützen. Doch damit wir uns den Tieren auch weiterhin in Ruhe widmen können, benötigen wir bessere Rahmenbedingungen.

 

Lesen sie mehr zum Gnadenhof Equidad auf unserer Projektseite.

  • Dieser Artikel wurde erstmals im Journal Franz Weber 131 publiziert. Die PDF-Version aller bisheriger Journale finden Sie hier.
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