08.09.2021
Monika Wasenegger

Auf Kosten der Natur: Ein zu hoher Preis, den wir alle bezahlen

Die SBB und der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) planen im Kanton Zürich Abstell- und Serviceanlagen mitten in der geschützten Natur. Gegen diese angekündigte Zerstörung bedeutender Lebensräume von Tieren und Pflanzen sowie von wertvollstem Kulturland setzt sich die Fondation Franz Weber (FFW) vehement zur Wehr. Der Kanton Zürich hat gerade hier die zwingende Aufgabe, dem raschen und starken Rückgang der Biodiversität entgegenzuwirken.

Kurz vor Jahresende, im Dezember 2020, wurde bekannt, dass die SBB im Kanton Zürich für den Ausbau des
Schienennetzes Land für drei neue Service- und Abstellanlagen beanspruchen will. Die für den Ausbau des Schienennetzes notwendigen Anlagen sollen nicht etwa auf bestehenden Anlagen wie zum Beispiel im Stadtgebiet oder an Orten, die schon bahnbetrieblich genutzt sind, entstehen, sondern buchstäblich auf der grünen Wiese, mitten in der Natur. Die dafür notwendigen Einträge im kantonalen Richtplan wurden bereits entworfen und mit der öffentlichen Planauflage bekannt gegeben.

Eine unverschämte Planung
Es ging ein Ruck durch die Bevölkerung und diverse Interessengruppen und direkt Betroffene machten auf diese, für die heutige Zeit unverschämte Planung aufmerksam. Bereits mit dem Start ins neue Jahr, begann auch der Widerstand gegen dieses Verbrechen an der sonst so knappen Natur und Lebensräume im Kanton Zürich. Während der Mitwirkungszeit wurden beim Bauamt rund 2500 Einwendungen erbracht. Das sind aussergewöhnlich viele, das bestätigte auch das zuständige Amt. Der Grund liegt auf der Hand: Es widerspricht jeglichen Geboten der Zeit, für Service- und Abstellanlagen naturbelassene Gebiete und Landschaftsschutzzonen zu zerstören. Dies vor allem auch deshalb, weil Abstell- und erst recht Serviceanlagen als rein industrielle Anlagen einzustufen und als solche nicht standortgebunden sind.

150 000 Quadratmeter Natur stehen auf dem Spiel
Bei näherer Betrachtung und hartnäckigen Erkundigungen zeigt sich ein ungeheuerliches Bild. An den drei Standorten sollen insgesamt Flächen von rund 150 000 Quadratmetern beansprucht werden. Es handelt sich dabei um bedeutende Fruchtfolgeflächen, Kulturland, Naturschutz- und Wildwechselgebiete und vieles mehr. Aus den Unterlagen der SBB geht zudem hervor, dass sie für alle drei Bauvorhaben ausschliesslich Naturstandorte in Erwägung gezogen haben. Für diese drei Anlagen befindet sich keiner der insgesamt 15 «geprüften» Standorte auf versiegeltem Boden.

Die Fondation Franz Weber kritisiert dies aufs Schärfste und fordert hier ein klares Umdenken. Es geht nicht darum, welcher Naturstandort am wenigsten betroffen wäre und somit geopfert werden kann, sondern darum, dass gezielt Standorte auf versiegeltem Boden gesucht und geprüft werden müssen. Es ist unverständlich, dass dies in der heutigen Zeit schon in der Planungsphase kein klares Anforderungskriterium des Kantons Zürich an die SBB ist. Alternativen die eingehend geprüft und gegeneinander abgewogen werden könnten gibt es genügend. Dies ergaben erste Gespräche der Fondation Franz Weber mit den Interessengruppen und Spezialisten.

Das Muster wiederholt sich
Bereits vor drei Jahren hat die Fondation Franz Weber damit begonnen, sich im Bernbiet zu wehren, damit dort im «Chliforst» im Westen und mitten in der Natur keine neue Reinigungsstation der BLS gebaut werden kann. Die Situation ist altbekannt und wiederholt sich ständig. Die Anlagen sind nichts weiteres als hässliche «Grossklotze» aus Beton, die mit ihrem 24-Stunden Betrieb bedeutende Licht- und Lärmemissionen hervorrufen, die die Natur und Tierwelt empfindlich treffen. Die für die Bewilligungen notwendigen Interessensabwägungen werden oft auf der Basis unvollständiger Angaben zugunsten des öffentlichen Verkehrs getroffen und als Alternative werden wiederum weitere Standorte inmitten prächtiger Natur erwogen. Die effektiven Schäden und die Zerstörung der Natur, der Lebensräume und der Tiere wird dabei nie vollständig erfasst und der Preis der unwiederbringlich zerstörten Natur, den wir alle bezahlen, wird gar nicht erst erhoben oder zumindest in keine Waagschale geworfen.

Die Ressource Boden
Der Boden ist eine lebensnotwenige, nicht erneuerbare Ressource, die wichtige Regelungsfunktionen erfüllt, indem er Wasser, Nährstoffe und weitere Stoffe lagert, sie filtert und transformiert. Der Boden ist zudem Lebensraum für die meisten Pflanzen, Tiere und Organismen und somit eine zentrale Grundlage für die Biodiversität. Er ist ein zentraler Teil von funktionierenden Ökosystemen, von denen nicht zuletzt die Lebensgrundlagen des Menschen sowie auch sein Wohlbefinden wesentlich abhängen.

Kurzum: Böden stellen eine überlebenswichtige Ressource dar und werden von vielfältigen Nutzungsinteressen beansprucht. Ihre grösste Bedrohung stellt dabei die Ausdehnung von Siedlung und Infrastruktur dar. Werden global etwa zwei bis drei Prozent der Landoberfläche für Siedlung und Infrastruktur genutzt, ist der Anteil in der Schweiz mit 7,5 Prozent deutlich höher und geht wesentlich schneller voran als der viel diskutierte Klimawandel.

Diese Überbauungsflut muss deshalb dringendst gestoppt werden. Auf politischer Ebene stiess die 2007 von Franz Weber lancierte eidgenössische Landschaftsinitiative die Revision des nationalen Raumplanungsgesetzes (RPG) an. Die Initiative zog Franz Weber damals zugunsten des RPG zurück, welches anschliessend vom Schweizer Stimmvolk mit einer deutlichen Mehrheit von 62,9 Prozent angenommen wurde. Die Revision ist seit Mai 2014 in Kraft und bildet die gesetzliche Verpflichtung der Kantone und Gemeinden bei der Raumplanung.

Grundsätzlich schreibt das RPG in Artikel 24 vor, dass nur ausserhalb der Bauzone gebaut werden darf, wenn «der Zweck der Bauten und Anlagen dies erfordert und keine überwiegenden Interessen entgegenstehen» (RPG Art. 24). Im Kanton Zürich wurde zudem 2012 die Kulturlandinitiative mit 54 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Sie verlangt einen wirksamen Schutz der Landwirtschaftsflächen durch den Kanton und das sowohl in ihrem Bestand wie auch in ihrer Qualität. Gerade dem Kriterium «Qualität der Flächen» wird viel zu wenig Bedeutung beigemessen, denn qualitativ wertvollster Boden kann kaum an einem anderen Standort kompensiert werden. Auch geschützte Tier- und Pflanzenarten lassen sich nicht einfach so umsiedeln. Die Gesetze und Ziele auf Bundesund Kantonsebene sind klar. Es fehlt somit «nur» an der konsequenten Anwendung und deren Umsetzung.

Im Interesse der Natur
Um dem Verlust von intakter Natur, geschützten Flächen und wertvollstem Kulturland zuzustimmen, ist in jedem Fall eine Abwägung der öffentlichen Interessen vorzunehmen. In der Praxis werden leider noch allzu oft Entscheidungen zu Ungunsten der Natur gefällt, da sie auch heute noch das schwächste Glied in der Interessensabwägung darstellt. Kurzfristige ökonomische Gewinne oder Sparmöglichkeiten, wie zum Beispiel die Routenfestlegung von Verkehrsinfrastruktur, werden stärker gewichtet als die Erhaltung intakter Natur und Offenhaltung des Kulturlandes.

Kulturlandschutz stärker gewichten
Um dieses Muster endlich zu durchbrechen und einen wirkungsvollen Schutz zu erreichen, fordert die Fondation Franz Weber schlichtweg, dass dem Kulturlandschutz, wie im Gesetz vorgesehen, in Zukunft ein stärkeres Gewicht in der raumplanerischen Interessensabwägung eingeräumt wird. Dabei sind der Bund und besonders die Kantone als zentrale Akteure im Kulturlandschutz in der Pflicht, denn sie sind für die Genehmigung von Nutzungs- und Einzelplanungen zuständig und beeinflussen damit direkt die Gestaltung ihres Kantonsgebietes.

Es geht nicht um die Frage, ob der ÖV oder die Natur höher zu gewichten sind. Vielmehr sollten die zwingenden Anforderungskriterien bereits bei der Standortsuche gestellt werden. So würden in Zukunft nur bahnbetrieblich oder industriell genutzte Gebiete oder bereits versiegelter Boden für Bauvorhaben wie Abstellgleise und Servicestationen geprüft werden können.

Für den ÖV werden Umweltschäden in den Kauf genommen

Unter einem grünen Deckmantel ist der Ausbau des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz ein seit vielen Jahren unangetastetes Thema. Heute unterstützt die Allgemeinheit den ÖV jährlich mit rund 8 Milliarden Franken und trägt deren Umwelt- und Lärmkosten sowie die gesellschaftlichen Kosten pro Personenkilometer als unabgegoltene Umweltschäden und Subventionen, welche im ÖV sogar höher sind als im motorisierten Individualverkehr. Gleichzeitig
werden seit Jahren auf allen Ebenen (Bund, Kantone, Gemeinden) dringende und lebenswichtige Ziele zum Erhalt der Natur, der Umwelt und schlussendlich unserer Lebensräume festgelegt und zu erreichen versucht. Bislang noch mit grossen Defiziten und verzweifelten Versuchen, die Zielerreichung zu beschleunigen.
Trotzdem wird der ÖV schnell weiter ausgebaut und sogenannte unabgegoltene Umweltschäden werden dafür auch heute noch in Kauf genommen. Dies darf aber nicht sein, sondern muss vielmehr sofort die Frage aufwerfen, ob der Preis der Zerstörung der Natur, den wir alle bezahlen, nicht verhindert werden kann. Sei es mit Alternativen, innovativen Ideen oder einem Umdenken zugunsten einer Zukunft für uns alle – die Tiere, die Natur und uns Menschen.

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