Bis auf die Knochen abgemagert. Einige auf drei Beinen, andere mit Wunden voller Maden. Apathisch bis zu den Knöcheln in einem Meer von Morast und Exkrementen stehend. Im nackten Überlebenskampf die Artgenossen beissend und tretend, um eine Handvoll Futter. So fanden wir sie im Januar vor. Die Pferde von Salta. Wir konnten nicht anders – und sind aktiv geworden.
Jede Stunde zählte! Der Anruf ging im Januar bei der Fondation Franz Weber (FFW) ein. Eine Mitarbeiterin der regionalen Tierschutzorganisation der APAN Salta versuchte, das Unbeschreibliche zu beschreiben. Fast 300 Nutztiere vegetierten in der nordargentinischen Provinz Salta dahin. Zusammengepfercht in Gehegen eines Polizeigeländes. Zumeist Pferde, aber auch Esel, Maultiere, Kühe und Stiere; hungrig, durstig, krank. Die FFW reagierte sofort.
Kampf an mehreren Fronten
800 Kilometer liegen zwischen dem Gnadenhof Equidad der FFW und Salta. Es galt keine Minute zu verlieren. Unverzüglich bauten unsere
Teams gemeinsam mit APAN ein Netzwerk von Freiwilligen auf, um diese leidgeplagten Wesen mit Nahrung und Medizin zu versorgen.
Eine Herkules-Aufgabe, die uns alles abverlangte.
Eine Auftragsfirma machte sich daran, den Boden vom veritablen Seuchenherd aus Morast, Fäkalien und Unrat zu befreien. Gleichzeitig mussten die ausgezehrten, kranken Tiere sofort mit hochwertigem Futter und Medikamenten versorgt werden. Aber woher? Zum Glück half die veterinärmedizinische Fakultät der Katholischen Universität von Salta, mit der wir eine Vereinbarung unterzeichnen konnten. Ebenso wertvoll waren die Ratschläge von Doktor Ribotta, einer Koryphäe der Veterinärmedizin für Pferde.
Kaum begannen diese Sofortmassnahmen zu greifen, entspann sich auch noch ein langwieriges juristisches Hickhack. Unterstützt von mehreren Anwälten, leiteten wir die erforderlichen Schritte ein, damit uns die Tiere überlassen würden.
Denn solange wir nicht die Besitzer waren, gestattete uns das Mandat der Richter lediglich, die Tiere zu versorgen, nicht aber von diesem Ort des Schreckens wegzubringen.
Niedertracht und Eigennutz
Unsere Hartnäckigkeit stiess zunehmend auf Widerstand. Dass wir uns jeden Tag auf die Polizeiwache begaben, um uns um die Tiere zu kümmern, führte rasch zu Spannungen. Gegenläufige Interessen verschärften diese noch. Wir unternahmen alles, um den Tieren zu helfen und sie zu retten. Viele Polizisten hingegen wollten sie bloss so schnell wie möglich loswerden und dazu noch an ihnen verdienen. Richter wiesen uns darauf hin, dass die Polizei unsere Bemühungen untergrub, indem sie uns Untätigkeit vorwarf. Mehr noch: Parallel dazu waren korrupte Polizeibeamte daran, eine Versteigerung einzufädeln – mit Endstation Schlachthof.
Glücklicherweise liessen sich bestimmte Richter nicht von den falschen Anschuldigungen der Polizei gegen uns blenden. Da wir mithilfe von Bilddokumenten unser Engagement bewiesen, gaben drei der acht Richter von Salta unserem Antrag statt und übertrugen uns 50 Pferde als Eigentum. Dank dieser Anordnung konnten wir nun Adoptivfamilien für diese Tiere suchen. So fanden immerhin 14 Pferde Aufnahme bei liebevollen Familien. Die restlichen 36 haben wir auf unseren Gnadenhof Equidad gebracht.
Komplikationen
Doch das Ringen ging weiter. Schockiert erfuhren wir am 31. Juli aus den Medien, dass 35 Pferde, die sich noch in den Händen der Polizei befanden, versteigert werden sollten. Nur durch ein Wunder wäre dies noch zu verhindern. Doch wir liessen nichts unversucht: Unterstützt von Juristen von APAN verfassten wir eine an den Gerichtshof adressierte Petition. Darin unterstrichen wir auch gesundheitliche Bedenken. Pferde
zu verkaufen, die unter mangelhaften hygienischen Bedingungen gehalten und bei schlechter Gesundheit sind, ist offensichtlich riskant. Und dies noch dazu ohne Gesundheitspässe und ohne Quarantäne.
Da wir unser Schreiben am Vorabend der Versteigerung vorlegten, blieb wenig Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang. So waren wir darauf vorbereitet, der Versteigerung ohnmächtig zusehen zu müssen und sie filmisch zu dokumentieren. Das Leid derer, für die wir uns so sehr eingesetzt hatten, sollte wenigstens bis zum bitteren Ende öffentlich angeprangert werden.
Epochaler Durchbruch
Da geschah das Wunder: Mitten in der Nacht, am Vorabend der Versteigerung, sagte der Gerichtshof diese ab und gab den Richtern zehn Tage Zeit, um einen Besitzer für die Tiere zu finden. Die positiven Auswirkungen blieben nicht aus: Schon wenige Tage nach dem Urteil kam der Entscheid, dass die Tiere in unseren Besitz übergehen sollten. Die Aussagekraft unserer Unterlagen war unwiderlegbar. Sie enthielten Belege
für unsere Auslagen für Futter, Medikamente, und so weiter. Fotos und Videos dokumentierten die Situation der Pferde vor und nach unserem Eingreifen. Endlich hatte dies auch die vier widerspenstigen Richter überzeugt.
Dieses Urteil ist für die Justiz Argentiniens beispiellos. Es hat einen echten historischen Präzedenzfall geschaffen. Zum ersten Mal haben Richter ihre eigenen Beschlüsse revidiert – zugunsten der Tierrechte! Mehr noch: Dank diesem Ringen und epochalen Durchbruch dürfen
wir den Fall und unsere Arbeitsweise an der nächsten Konferenz der Katholischen Universität von Salta vorstellen!
Doch der Kampf geht weiter!
Trotzdem müssen noch immer mehrere Dutzend Tiere aus dem widerlichen Pfuhl, in dem sie gefangen sind, befreit werden. Sobald dies gelungen ist, können wir dem Gerichtshof ein Strategiepapier vorlegen. Dieses soll verhindern, dass sich jemals wieder ein ähnlicher Fall wiederholt. Dabei werden wir eine Änderung des polizeilichen Reglements für den Umgang mit streunenden Tieren vorschlagen.
Insbesondere wollen wir anregen, dass aufgegriffene Tiere, deren Besitzer sich nicht innerhalb von zehn Tagen melden, Tierschutzorganisationen übergeben werden, die sich um ihr Wohlergehen und ihre Adoption kümmern.
Denn die Hölle von Salta hätte verhindert werden können, wäre die Gemeinde von Salta nur unseren Empfehlungen gefolgt. Will man das Problem begreifen, muss man seine Ursachen verstehen: Die zum Sammeln von Abfällen eingesetzten «Müllpferde» von Salta hatten in der Regel schwerste Arbeit leisten müssen und waren Misshandlungen ausgesetzt. Dies hatte zu ihrer Beschlagnahmung geführt. Ein Teufelskreis nahm seinen Lauf. So waren die bedauernswerten Pferde nach ihrer gerichtlich angeordneten Beschlagnahmung auf Gedeih und Verderb der Willkür der Gesetzeshüter ausgeliefert. Diese wiederum waren von der Menge der aufgegriffenen Tiere überfordert und liessen sie auf ihrem
Gelände zugrunde gehen, weil sie sich hinter dem Grundsatz versteckten, dass letztere ihnen nicht gehörten.
Dilemma nahm seinen Lauf
Nach dem Beschluss des Bürgermeisters von Salta, den Einsatz von Zugtieren für die Müllsammlung zu verbieten, spitzte sich die Lage 2017 zu. Die Fuhrmänner, die ihrer Einkommensquelle ersatzlos beraubt waren, verfügten nicht länger über die Mittel, ihre ehemaligen Zugtiere zu versorgen und liessen sie nach und nach im Stich. So griff die Polizei mehr und mehr Tiere auf.
Dabei hatten wir einen Plan bereit, um prekäre Verhältnisse der Familien zu verhindern. Denn es war zu befürchten, dass sich durch den Verlust
von deren Einkommen die Lebensbedingungen der Pferde noch weiter verschlechtern würden. Die Gemeinde von Salta hatte sich auch verpflichtet, den Empfehlungen unseres Programms «Schluss mit der Müllabfuhr mit Pferden» («Basta de TaS!») zu folgen. Doch sie stellte lediglich 50 Sammelfahrzeuge bereit und nahm sich weder die Mühe, die Pferde einzusammeln, noch die betroffenen Familien anderweitig zu unterstützen.
Ehrenamtlicher Einsatz
Nach der mittlerweile fast ausgestandenen Tragödie entwickelt sich der Fall der Pferde von Salta inzwischen zu einem Sieg für den Tierschutz und für die Gerechtigkeit in Argentinien. Diejenigen Tiere, die nun glückliche Tage auf dem Gnadenhof Equidad der Fondation Franz Weber oder bei liebevollen Familien verbringen, verdanken ihre Rettung der selbstlosen Hingabe der Freiwilligen und der Anwälte.
Sie alle haben in ihrem jeweiligen Bereich – und noch dazu ehrenamtlich – unermüdlichen Einsatz geleistet. Und wir danken von ganzem Herzen unseren treuen FFW-Freunden und Gönnern. Denn ohne ihre wertvolle finanzielle Unterstützung hätte der Fall niemals ein so glückliches Ende nehmen können.
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