Immer mehr Gemeinden lehnen den Bau von grossen Windkraft- und Solaranlagen in der freien Natur ab. Sie wollen nicht, dass unsere Landschaften unverhältnismässig beeinträchtigt werden. Doch das neue Stromgesetz würde genau diese demokratische Mitsprache einschränken.
Die entsprechenden Schlagzeilen reissen nicht ab – allein in diesem Jahr sind mehrere Projekte für Solar-Grossanlagen in den Alpen gescheitert. Der Grund: Die Bevölkerung der betroffenen Gemeinden hat sich demokratisch dagegen entschieden. Ende Januar lehnte die Gemeinde Surses im Kanton Graubünden eine als «Mega-Projekt» beschriebene Solaranlage auf ihrem Gebiet ab. Betreiben wollte sie das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ). Die Dimensionen waren tatsächlich gigantisch: Das alpine Val Nandro sollten mit 65 Hektaren an Solarpanels zugepflastert werden. Das entspricht einer Fläche von ungefähr 93 Fussballfeldern. Geplant waren rund 11’000 Solartische mit ungefähr 90’000 Modulen. Der Volksentscheid gegen die riesige Solaranlage fiel deutlich aus – obwohl die kleine Berggemeinde bei einem Ja jährlich über 600 000 Franken bekommen hätte. Der Erhalt einer intakten Natur und Landschaft ging den Bürgerinnen und Bürgern vor.
Das deutliche Nein ist kein Einzelfall. Zwar gibt es auch Gemeinden wie Grengiols im Wallis, die den Solaranlagen zustimmten, doch der Trend geht in die andere Richtung (und auch Grengiols Solar, das den Anstoss zum unseligen «Solarexpress» des Parlaments gab, wurde massiv redimensioniert). Vor Surses hatten bereits etwa Disentis (GR), Melchsee-Frutt (OW) oder Saas-Grund (VS) solche Anlagen ablehnt.
Auch nach dem vielbeachteten Nein in Surses ging es Schlag auf Schlag weiter: Nur zwei Tage später stimmten auch die Gemeinden Hasliberg (BE) und Albinen (VS) gegen Grossflächen-Solaranlagen. Und Anfang März sagte ausserdem Oberiberg (SZ) nein zu dem vom Stromgrosskonzern Axpo geplante Kraftwerk «Alpin Solar Ybrig».
Solar-Grossanlagen in den Alpen erweisen sich als «Irrweg»
Der Befund zieht sich somit durch: Die betroffene Bevölkerung will keinen Ausbau der Solarenergie um jeden Preis – insbesondere nicht, wenn dabei wertvolle Landschaften geopfert werden. Der «Solarexpress» gerät ins Stocken. Die Kritik dagegen wird immer lauter, auch in den Medien. «Die blindwütige Fixierung auf Solar-Grossanlagen in den Alpen erweist sich als Irrweg», schrieb der Tages-Anzeiger. Es brauche ein Umdenken.
In der Tat zeigen die ablehnenden Volksentscheide, dass die Parlamentarier in Bern die Stimmung im Land und bei den Betroffenen falsch eingeschätzt hatten, als sie den «Solarexpress» aufgleisten. Begraben wurden im Herbst und Winter des vergangenen Jahres auch die Solarprojekte in Orsières (VS), Ilanz (GR) oder Saanen (BE). Neben einzelnen Gemeinden stimmte auch das Stimmvolk des Kantons Wallis im September 2023 gegen ein Solardekret, das den «Solarexpress» im Wallis umsetzen und den Bau von Solaranlagen in den Alpen beschleunigen wollte – unter Ausschaltung ordentlicher Bewilligungsverfahren.
Gemeinsam ist allen abgelehnten Solar-Grossprojekten in den Alpen, dass sie eine unberührte Landschaften beeinträchtigt hätten. Der Bevölkerung liegen der Erhalt und Schutz dieser Landschaften am Herzen – und dafür ist sie auch bereit, auf hohe finanzielle Einnahmen zu verzichten.
Stromgesetz stellt Natur- und Landschaftsschutz zurück
Eine ähnliche Entwicklung bei den Freiflächensolaranlagen in den Alpen scheint sich auch bei den geplanten Windparks abzuzeichnen. Auch hier weht den Grossprojekten Widerstand entgegen. Selbst Energieversorger wie Energie Wasser Luzern (ewl) weisen auf das «schwierige Umfeld» für Windenergie im grossen Stil in der Schweiz hin, auch abseits der Politik. Die topografischen Verhältnisse seien ebenso herausfordernd wie die hohe Siedlungsdichte. «Denn die Windkraftanlagen liegen so näher an bewohnten Flächen. Verständlich also, dass hier die Zahl besorgter Stimmen höher ist.» Auch gebe es «Bedenken in Bezug auf eine Beeinträchtigung unserer Landschaftsressourcen und die erwarteten Lärmemissionen». Ebenso würden negative Folgen für die Tierwelt (Vögel, Fledermäuse) befürchtet. «Logische Konsequenz» daraus sei der «zögerliche Ausbau».
Genau hier hakt nun das neue Stromgesetz ein. Es will den Bau von Grossanlagen erleichtern, Verfahren «konzentrieren» und die demokratische Mitsprache einschränken. Das widerspricht nicht nur der direkten Demokratie der Schweiz, sondern begünstigt die Zerstörung unserer Natur und Landschaft. Art. 12 Abs. 3 des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (Änderung des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes) definiert: «Das nationale Interesse geht entgegenstehenden Interessen von kantonaler, regionaler oder lokaler Bedeutung vor.» Im Klartext: Die Energie- und Stromgewinnung hat Vorrang, auch gegenüber den Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes. Rechtsprofessor Alain Griffel von der Universität Zürich hat klar festgehalten, dass dies gegen die Bundesverfassung verstösst. Umso mehr braucht es bei der Abstimmung über das Stromgesetz am 9. Juni ein Nein.