08.05.2024
Diana Soldo

Geschützte Lebensräume müssen erhalten bleiben

Eine der zentralen Aufgaben für die nächsten Jahre ist, intakte und wertvolle Lebensräume zu schützen. Dieser Aufgabe für das Stromgesetz auszuweichen, zeigt, dass der Ernst der Lage nicht verstanden wurde. Es geht um unser Überleben und das von Millionen anderer Arten.

Bereits viele wertvolle Lebensräume wurden zerstört, und wir dürfen nicht die letzten Verbliebenen unserem unersättlichen Energiehunger opfern. Es ist nun an der Zeit, Schutzflächen zu bewahren und auszuweiten. Die Schweiz hinkt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern beim Schutz von Naturflächen deutlich hinterher. Während im Durchschnitt über 25 Prozent der Naturflächen in Europa geschützt sind, beträgt der Anteil der Schutzgebiete in der Schweiz lediglich knapp 10 Prozent.

Die Schweiz hat zahlreiche relevante internationale Abkommen unterzeichnet, die klare Rahmenbedingungen, Massnahmen und politische Strategien für den Schutz der Lebensräume und die Bewahrung der Biodiversitätvorgeben. Nach dem Kunming-Montreal-Abkommen von 2022 sollten beispielsweise weltweit bis 2030 30 Prozent der Naturflächen unter Schutz gestellt werden. Diese Abkommen sind rechtlich verbindlich und können nicht willkürlich untergraben werden.

Ein Ausbau von Wind-, Wasser- und Solaranlagen darf nicht auf Kosten wertvoller Lebensräume und deren Artenvielfalt erfolgen, als «grüne» oder «ökologisch nachhaltige» Energie verkauft und auf Kosten der Allgemeinheit subventioniert werden.

Schädigende Subventionen

Es ist nicht eine Frage der Energieversorgung, es geht um unser Überleben. Die Biodiversität und ihre Ökosystemleistungen bilden das Fundament des Lebens. Ihr Verlust gefährden unsere Existenzgrundlage und die Wirtschaftsleistung unseres Landes. Unser Wohlstand hängt nicht primär von den verfügbaren Energiemenge ab, sondern vielmehr davon, wie viele Arten in unseren Böden, Wäldern, Flüssen, Auengebieten und Bergen überleben können. Die Artenvielfalt ist massgeblich für die Erhaltung der Böden, die Speicherung von Wasser und Kohlenstoff, die Grundwasserbildung, die Kühlung der Landschaften, die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme gegenüber Klimaveränderungen und vielem mehr.

In den letzten 100 Jahren ist die Biodiversität in der Schweiz massiv zurückgegangen. Ein Drittel der Arten und die Hälfte der Lebensräume sind bedroht und stehen auf den Roten Listen. Das Verschwinden der Biodiversität und die Zerschneidung sowie Nutzung der Lebensräume, zusammen mit der Bodenversiegelung, sind eine akute Bedrohung für alle Lebewesen, einschliesslich des Menschen. Das neue Stromgesetz und die damit verbundenen Subventionen verstärken diese negative Entwicklung.

Windanlagen in Wäldern

Das neue Stromgesetz sieht den Bau von Dutzende Windenergieanlagen in Wäldern vor. Der Bau, die Betreibung und der Abbau dieser Anlagen würden erhebliche ökologische Schäden in den Wäldern verursachen. Die Errichtung der Anlagen, der dafür benötigten Strassen und Infrastrukturen führen zu Lebensraumverlust und -zersiedlung. Die gerodeten Naturflächen beeinflussen das Klima, den Wind, die Bodenfeuchtigkeit und die Temperaturen weit in den Wald hinein.

Die Bauarbeiten, die Fundamente und die Forststrassen beeinträchtigen massiv die Beschaffenheit der Böden und stören deren Funktionen, dessen Erholung kann Hunderte von Jahren dauern. Die beträchtlichen ökologischen Schäden stehen in keinem Verhältnis zur vergleichsweisen kurzen Lebensdauer der Anlagen von maximal 25 Jahren.

Wildtiere, die im Wald leben, sind auf vielfältige Weise von Windenergieanlagen betroffen, sei es durch Kollisionen, Stress oder Verlust ihrer Lebensräume. Anlagen, Strassen und Stromleitungen zerschneiden deren Habitate und Wanderwege. Schallfrequenzen beinträchtigen nicht nur Menschen, sondern auch Tiere.

Solaranlagen in Schutzgebiete

Grössere Solaranlagen in besonders artenreichen und ökologisch sensiblen Gebieten haben weitreichende Auswirkungen auf das ganze Ökosystem. Sie verändern Lichteinfall, Temperatur, Sonneneinstrahlung, Bodenbeschaffenheit und Feuchtigkeit. Die Beschattung durch die Panels beeinflusst die Vegetation hinsichtlich Wuchshöhe, Blühhäufigkeit und Deckungsgrad der Pflanzen. Zudem verändern sie die Lebensqualität und die Migrationsrouten der Tiere. Die Vogelsterblichkeit ist ähnlich hoch wie bei Windenergieanlagen. Vögel, Fledermäuse und Insekten verwechseln grosse Anlagen mit Gewässern und kollidieren damit. Aufgrund der Veränderungen und Störungen besteht ein höheres Risiko für das Aufkommen invasiver Arten und die Verdrängung einheimischer Spezies.

In ökologisch weniger wertvollen Gebieten wie städtischen Naturflächen oder intensiv genutzten Ackerflächen verursachen Solaranlagen weniger Schäden. Je nach dem können solche Naturflächen sogar aufgewertet werden und an Biodiversität gewinnen.

Wasserkraft in Auengebiete

Für Wasserkraftanlagen werden Flüsse gestaut oder umgeleitet, Täler und Auen- sowie Moorgebiete überflutet.  Solche Anlagen reduzieren die Restwassermengen in den Gewässern, lassen die Abflüsse schwallartig schwanken und beeinträchtigen das Vorkommen und die Wanderung vieler Arten. So werden bis zu einem Viertel der Fische bei Wasserkraftanlagen getötet oder verletzt, ihre Laichplätze weggespült, und ihre Fortbewegungsmöglichkeiten unterbunden.

In der Schweiz ist bereits über 95 Prozent des verfügbaren Wasserkraftpotenzials ausgeschöpft. Tausende Kilometer Flüsse und Bäche führen zu wenig Wasser oder sind gar ausgetrocknet. Lebensräume sind verloren gegangen, und viele Arten, wie Fische, Kleintiere und Pflanzen wurden ausgerottet oder sind stark gefährdet. Wo einst Lachse und Meerforellen die Schweizer Flüsse hinaufwanderten, kämpfen heute viele andere Arten ums Überleben.

Das neue Stromgesetz möchte die letzten wertvollen aquatischen Lebensräume aufopfern, um das verbleibende 5-Prozent-Energiepotential auszuschöpfen. Auengebiete von nationaler Bedeutung wie die Greina-Hochebene, das Val Roseg oder der Vallon de l’ Allondon drohen zu verschwinden. Das müssen wir verhindern.

Es ist an der Zeit, eine nachhaltige Energiepolitik zu verfolgen, die den Schutz unserer Lebensräume und die Bewahrung der Biodiversität in den Mittelpunkt stellen. Denn letztendlich geht es nicht um Energie, sondern um das Überleben unserer gesamten Lebensgemeinschaft.

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