06.01.2020
Meret Schneider

Der Mythos des freien Konsumenten

«Ja aber der freie Konsument…».
Wamm. Einer Abrissbirne gleich, donnert der freie Konsument in jedes noch so solide Argumentationsgebäude für ethische Standards bei Konsumgütern.

Eine Initiative gegen Massentierhaltung? Wenn die Konsumierenden auf Poulet Lust haben, das in seinem Leben nie das Tageslicht sah, wenn sie ein Schwein essen möchten, das auf einem Quadratmeter Betonboden aufwuchs, dann ist das doch deren gutes Recht!
Das höchste Gut einer Gesellschaft ist nicht, wie Platon argumentierte, «das gute, gerechte Leben». Es ist die Wahlfreiheit des Konsumierenden. Und damit ist nicht Freiheit im liberalen Sinne gemeint: Auch bei Adam Smith geht die eigene Freiheit nur so weit, wie sie nicht die Freiheit eines anderen einschränkt. Die Wahlfreiheit, mit der argumentiert wird, ist eine allumfassende, rücksichtslose. Würden alle Länder ihren Konsumierenden zugestehen, so viele Tierprodukte zu konsumieren, dass dafür auf einer Fläche von 250 000 Hektaren im Ausland Futtermittel angebaut werden müssen, hätten wir einige Planeten zu wenig. Interessant ist hierbei, dass wir damit unsere Mitmenschen von Bürgern mit Verantwortungsbewusstsein zu reinen Konsumierenden degradieren, die einzig Konsumentscheidungen treffen.
Der sogenannt freie Konsument trifft Entscheidungen seinen Konsum betreffend und wägt dabei Kosten und Nutzen ab.

Aber selbst in der klassischen Wirtschaftslehre braucht es für einen freien Konsumenten zum einen die vollständige Information über das Produkt, zum anderen eine Situation, in der rationale Entscheidungen möglich sind. Nicht einmal Smith würde heute von freien konsumierenden sprechen: die wenigsten wissen, wie ihr Schweizer Poulet tatsächlich produziert wurde, dass es mit über 25 000 anderen in einer Halle aufwuchs und nur 30 Tage zu leben hatte. Im Gegenteil: Es herrscht eine gezielte Fehlinformation, indem Millionen Steuergelder in die Bewerbung von Fleisch investiert werden – mit Hühnern auf der Wiese.

Es ist davon auszugehen, dass der Konsument vor dem Regal nicht so handelt, wie er das gerne würde. Dies zeigt sich in einer repräsentativen Umfrage des Schweizer Tierschutzes, in der über 80 Prozent der Menschen angaben, ihnen sei Tierwohl bei den konsumierten Produkten sehr wichtig. Ihnen ist eine tiergerechte Haltung wichtig, sie möchten nicht für die Ausbeutung des Planeten verantwortlich sein und ihren Enkeln nicht die Zukunft wegessen. Als Gesellschaft müsste es in unserem Interesse sein, Bedingungen zu schaffen, die es den Bürgerinnen und Bürgern leicht machen, sich umweltfreundlich zu verhalten, und damit das langfristige Bestehen der Gesellschaft zu sichern. Eine Möglichkeit wäre ein grösserer Anteil an pflanzlichen Produkten, ein anderer eine transparente Deklaration. Dies funktioniert aber nur, wenn wir die anonyme Masse der Konsumierenden wieder zu Staatsbürger/innen aufwerten, die sich auch verantwortungsbewusst verhalten möchten. Das wäre wünschenswert – sowohl für die Gesellschaft, als auch für ihre Mitglieder.

  • Meret Schneider ist Nationalrätin (Grüne, ZH) und Co-Initiantin der Massentierhaltungsinitiative.
  • Der von ihr verfasste Kommentar wurde erstmals publiziert im Zürcher Oberländer in der Ausgabe vom 27. November 2019.
  • Weitere Informationen: Webseite zur Massentierhaltungsinitiative
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