28.06.2022
Leonadro Anselmi

Elf Jahre Kampagne für ein besseres Leben von Menschen und Pferden

Im Juni 2022 wird die Kampagne der Fondation Franz Weber «Basta de TaS» (Schluss mit der Pferde-Müllabfuhr) elf Jahre alt. Dank dieser Kampagne können Pferde, die in Lateinamerika eingesetzt werden, um tonnenweise Müll abzuschleppen, befreit und durch motorisierte Fahrzeuge ersetzt werden.

Die FFW feiert dieses Jubiläum (10 Jahre plus 1), in dem wir uns an die Meilensteine der Kampagne sowie die Funktionsweise des Programms erinnern und einige Anekdoten mit Ihnen teilen. Viel Vergnügen bei diesem Streifzug durch unsere geschichtsträchtige Kampagne!

Neuer Mensch dank «Basta de TaS»
Im April 2015 besuchte ich zum letzten Mal Paraná, Hauptstadt der Provinz Entre Ríos in Argentinien. Die Kampagne «Basta de TaS», deren Ziel es ist, die zur Müllabfuhr eingesetzten Pferde in Lateinamerika zu befreien und die Familien der Müllsammler sozial zu integrieren, hatte mich in den Jahren zuvor mehrmals dorthin geführt: um Gespräche mit den lokalen Regierungen, Aktivisten und Arbeitern zu führen und die Umsetzung des von uns unterstützten Ersatzprogramms zu fördern, zu erleichtern und zu begleiten. Damals lief die Kampagne erst seit drei Jahren. Und doch konnten dank ihr bereits mehr als hundert Pferde durch Motorfahrzeuge ersetzt werden.

Nach einer Versammlung, an der ich teilnahm und auf der die Regierung die hervorragenden Ergebnisse des Programms präsentierte, kam ein Mann auf mich zu und fragte lächelnd: «Leonardo, erinnerst Du Dich an mich?» Ich antwortete: «Leider nein», auch wenn er mir vage bekannt vorkam. Er lachte und sagte: «Kein Wunder, wir haben uns vor drei Jahren kennengelernt, aber heute sehe ich zwanzig Jahre jünger aus». Der Mann war Juan. An diesem Tag erinnerte er mich an eine Geschichte, die ich völlig vergessen hatte und die ich Ihnen, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, erzählen möchte.

Furcht vor Arbeitslosigkeit
2012 stimmte die Stadtverwaltung von Paraná einem Pilotversuch zu, bei dem sechs Pferde gegen Motoradwagen ausgetauscht werden sollten. Parallel dazu wurde ein Programm zur sozialen Integration, Berufsausbildung und Regulierung der Arbeitsbedingungen der betroffenen Familien aufgelegt. Die Pferde sollten auf unserem zukünftigen Gnadenhof in der Provinz Córdoba ein neues Zuhause finden. Damals lehnten Naturschützer das Projekt ab, ganz einfach deshalb, weil es von der Bürgermeisterin der Stadt unterstützt wurde, die der politischen Partei angehörte, die traditionell gegen Naturschutz ist. Sie befürchteten, dass die Familien durch das Projekt arbeitslos würden. Es entspann sich eine Kontroverse zwischen denjenigen, die die Müllabfuhr mit Tieren einfach verbieten wollten – was die Familien ins Elend gestürzt hätte – und denen, die aller Tierquälerei zum Trotz weitermachen wollten wie bisher.

Der sechste Mann
Der Sekretär für soziale Integration der Gemeinde bestellte mich eines Abends zu einer grossen Versammlung, um mir mitzuteilen, dass lediglich fünf Arbeiter an dem Projekt teilnehmen wollten und dass das Vorhaben eingestellt werde, wenn wir nicht schnellstens einen sechsten Freiwilligen fänden. Wenn wir noch nicht einmal imstande seien, sechs Müllsammler für das Projekt zu begeistern, so seine Worte, würde es uns niemals gelingen, ein Problem zu lösen, das mehr als 700 Tiere betraf. Ich verstand ihn vollkommen.

Ein Zeichen des Universums
Ich erinnere mich, dass ich beim Verlassen dieser Versammlung am Boden zerstört war. Ich war gleichermassen empört, traurig und verwirrt. Auf einem schönen zentralen Platz gegenüber dem Hotel, in dem ich abgestiegen war, liess ich mich auf einer Bank nieder und dachte mir, dass all die Mühe, all der Tatendrang nicht einfach durch ein Missverständnis oder eine politische Kontroverse zunichte gemacht werden durfte. Es hatte fast schon etwas Poetisches, dass just in diesem Moment eine von einem Pferd gezogene Karre an mir vorüberfuhr. Darauf sass ein Mann, der völlig betrunken war. Ich weiss noch sehr gut, dass ich in diesem Augenblick dachte: So ist die Welt, absurd und ungerecht, und dieses Bild soll mich daran erinnern. Aber ich dachte in diesem Moment auch, dass sich das Universum genau in die entgegengesetzte Richtung bewegt, und spürte, dass dieser Wagen vor mir mehr als nur ein Zeichen war: Er war eine Gelegenheit.

Ich hielt ihn an und fragte seinen Besitzer, ob wir uns kurz unterhalten könnten. Ich erläuterte ihm das Programm. Er entgegnete, dass er weder lesen noch schreiben könne und das Pferd ihn jeden Abend, wenn er zu viel getrunken habe, nach Hause bringe, was das Motorrad nicht tue. Ich insistierte. Er sagte, dass ich ihn am nächsten Tag besuchen solle, also tat ich das. Am nächsten Morgen war auch seine Frau da, und so redete ich mit beiden – der Mann war bereits nüchtern und verstand das Projekt besser. Seine Frau ermutigte ihn, den Schritt zu wagen. Dieser Mann war Juan.

Der grosse Wandel
Als wir uns 2015 wiederbegegneten, hatte er nicht nur lesen und schreiben gelernt und sich im Umgang mit den motorisierten Karren schulen lassen, sondern er war sogar Fahr- und Reitlehrer des Ersatzprogramms der Stadtverwaltung von Paraná, das auf den Pilotversuch folgte, an dem Juan schliesslich teilgenommen hatte. Er sah tatsächlich zwanzig Jahre jünger aus. Juan erzählte mir, dass er sich nicht mehr jeden Abend betrinke, sein Haus reparierte und nun beschlossen habe, seinen ältesten Sohn auf die Universität zu schicken. Heute trägt er bei der Arbeit eine Uniform, ist sauber, selbstbewusst und erklärte mir, dass er nach getaner Arbeit schnell nach Hause zurückkehre, da seine Frau eine Schneiderei für Bekleidung gegründet habe. Allabendlich liefert er die umgeänderte Kleidung aus.

Den Tränen nahe umarmte ich ihn und sagte: «Genau das macht ‹Basta de TaS› aus: «Keine versklavten Pferde, keine ausgegrenzten Menschen mehr.» Juan ist nur ein Beispiel von vielen: Seit 2011 konnte unsere Kampagne 7 000 ähnliche Fälle für sich verbuchen. Das Projekt hat noch viele weitere Leben verbessert: von Kindern, Enkeln, Eltern, Haustieren, Nachbarn und Kollegen. Von Menschen, die wegen ihres sozialen und beruflichen Status ausgegrenzt wurden und deren Leben sich zum Guten gewendet hat – und zwar nicht nur an ihrem Arbeitsplatz, sondern auch in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht, im Hinblick auf Bildung, Familie und Gesundheit, emotional und oft sogar spirituell.

Die Kampagne heute und in Zukunft
Seit die Kampagne 2011 lanciert wurde, haben wir mehr als hundert Städte in mehreren lateinamerikanischen Ländern besucht, darunter Argentinien, Uruguay, Chile, Kolumbien, Ecuador und Mexiko. Dabei ist es uns gelungen, beinahe 50 Programme zum Ersatz von Müllpferden zu fördern und zu realisieren. Viele davon haben dazu geführt, dass sämtliche Pferde der Stadt ersetzt wurden, andere laufen noch, wieder andere mussten eingestellt werden, da sich die politische Lage schlagartig veränderte.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass die Programme zur Ersetzung der Müllpferde von den Gemeinden beschlossen und umgesetzt werden. Die Fondation Franz Weber ermutigt sie dazu und bietet ihnen technische Beratung, insbesondere in Form ausführlicher Leitfäden zur Umsetzung des Programms, die unser Team verfasst hat. Wir helfen ihnen auch dabei, gute Beziehungen
zu den Medien, Tierschützern und natürlich zu den Müllsammlern selbst zu knüpfen und ihnen das Programm zu erläutern.

Verbot oder landesweite Debatte
Bis heute haben mehrere Gemeinden in Lateinamerika ihre Programme bereits beendet, indem die Müllabfuhr mit Tieren komplett ersetzt wurde. Um das Programm endgültig abzuschliessen, haben sie zudem das Müllsammeln mit Tieren ein für alle Mal verboten.

Aktuell verfolgen grosse Städte wie Montevideo, die Hauptstadt von Uruguay, die Ersatzprogramme weiter. Chile hat sogar eine landesweite Debatte über dieses Thema eingeleitet.

In einigen Monaten werden wir der Kampagne einen neuen, kräftigen Schub geben, indem wir einen Lehrgang für Kommunalbeamte und Abgeordnete veröffentlichen. Dieser soll die Umsetzung der Programme in den verschiedenen Ländern beschleunigen und wird von uns unter der Webseite escuelaFFW.org als online Lehrmaterial zur Verfügung gestellt.

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