Das Abholzen von 39 Eschen im Naturschutzgebiet Kanderdelta war im vollen Gang. Doch am Montagvormittag (17.2.2020) brachen die Forstarbeiter die Fällung plötzlich ab. Was war geschehen?
«Als ich hier mal den Weg verliess, wurde ich barsch zurückgepfiffen.» Die Passantin, die ihren Namen nicht in der Zeitung sehen möchte, redet sich in Rage: «Und jetzt macht eine riesige Maschine mitten im Schutzgebiet reihenweise Bäume um!» Tatsächlich sind Forstarbeiter entlang des Wanderwegs, der durch das Naturschutzgebiet Kanderdelta führt, mit schwerem Gerät an der Arbeit. Bereits türmt sich ein meterhoher Haufen gefällter Bäume am Wegrand.
Doch schon vor elf Uhr morgens verstummen die Motorsägen und die Arbeiter des Forstbetriebs Sigriswil-Reutigen verlassen mitsamt Maschinerie das Gelände. Nebst den gefällten bleibt eine ganze Anzahl stehender Bäume zurück, die ebenfalls zum Fällen gezeichnet sind. Warum sind sie vorderhand stehen geblieben?
«Nicht nachvollziehbar»
Einen Teil der Vorgeschichte erzählt das Plakat am Eingang zum Naturschutzgebiet: «Weil ein Pilz die Eschentriebe tötet, müssen am Zugangsweg zur Seewiese in Einigen 39 Eschen gefällt werden», steht auf der Tafel. Aufgestellt wurde sie von der Gemeinde Spiez. Diese ist für den Unterhalt und die Sicherheit des betreffenden Wegs zuständig. Ein aus Ostasien eingeschleppter Pilz verursache die schwere Krankheit Eschentriebsterben, auch bekannt als Eschenwelke.
Doch die Naturschutzorganisation Fondation Franz Weber will die Fällung nicht einfach hinnehmen. Am Sonntag, 16. Februar schickte Stiftungspräsidentin Vera Weber einen offenen Brief an Gemeindepräsidentin Jolanda Brunner und den Gemeinderat von Spiez, der auch an regionale Medien ging. «Es darf doch nicht sein, dass durch einen voreiligen und nicht nachvollziehbaren Fällungsentscheid 39 wertvolle alte Bäume, die eine immens wichtige Funktion punkto Artenvielfalt und Klimaschutz erfüllen, vernichtet werden», empört sich die Tochter des verstorbenen Umweltpioniers Franz Weber.
Fällen oder pflegen?
Im Schreiben ebenfalls zitiert ist Fabian Dietrich. Der Baumpflegespezialist mit eigenem Betrieb in Därligen betont auf Anfrage: «Man weiss aus Erfahrung, dass Eschen durchaus mit dem Eschentriebsterben umgehen können, vor allem ältere Eschen.» Sicherheit entlang eines Wanderwegs sei oberstes Gebot, bekräftigt Dietrich. Aber: «Ein abgestorbener Ast aufgrund des Eschentriebsterbens ist noch lange kein Grund, den ganzen Baum zu fällen.» Denn eine Esche sei auch dann immer noch standsicher. «Wenn sich abgestorbene Äste über einem Fussweg befinden, reicht es aus, diese Äste zu entfernen, um die Sicherheit wieder zu gewährleisten.»
Zur Fällung gezeichnet wurden die 39 Eschen sowie 14 weitere Bäume letzten Sommer, nach dem Sturm vom 6. August 2019, durch den Kreisrevierförster Stefan Luginbühl. Dessen Nachfolger seit 1. Januar 2020, Florian Kissling, räumt zwar ein, dass viele Eschen das Eschentriebsterben durchaus verkraften können und sieht das Entfernen von abgestorbenen Ästen ebenfalls als Option. Aufwand und Ertrag stünden aber in keinem Verhältnis. Für Stefan Wenger, der als Leiter des Forstbetriebs Sigriswil-Reutigen die Fällung ausführen lässt, ist die Kritik am Vorgehen «unverständlich». Ihm sei «nicht erklärlich, wie man diese Bäume langfristig mit Pflegemassnahmen erhalten will».
Augenschein und externe Meinung
Ganz anders sieht dies Baumpflegespezialist Fabian Dietrich, sowohl in der Kostenfrage wie auch in Sachen Baumerhalt: «Das Fällen von Bäumen ist immer die letzte Alternative, auch dann, wenn es um die Sicherheit geht!» Dies gelte auch für die 39 Eschen in Einigen: «Die Bäume befinden sich in einem Naturschutzgebiet, und da ist es umso wichtiger, dass Alternativen punkto Baumpflege gesucht werden.»
Das Schreiben der Fondation Franz Weber hat Gemeindepräsidentin Jolanda Brunner in den Ferien erreicht. «Wenn die Emotionen so hoch gehen, wollen wir nicht einfach weitermachen», sagt sie und hat deshalb einen einstweiligen Fällstopp verfügt. Morgen Dienstag werde man einen Augenschein vor Ort nehmen und eine «externe Meinung beiholen».
Dieser Artikel wurde erstmals am 17. Februar 2020 im Berner Oberländer publiziert.