19.02.2019
Matthias Mast

Vor 35 Jahren rettete Franz Weber das Naturwunder Giessbach

Mit der Rettungsaktion des Grandhotels Giessbach leitete Franz Weber ein Umdenken in Bezug auf historische Hotels ein. Judith Weber-Kreis realisierte unter anderem die gesamte Inneneinrichtung. Im Interview teilt sie ihre Erinnerungen und Gedanken.

«Franz erzählte mir eines Tages beim Mittagessen, er habe eine Anfrage bekommen, ein Stück Heimat, das ihm schon seit Kindheitstagen besonders kostbar sei – von Schulreisen und so – zu retten», so beginnen Judith Webers Erinnerungen an die Zeit vor über 35 Jahren, als das Hotel Giessbach in höchster Lebensgefahr schwebte. «Er fragte mich geradeheraus, ob ich ihm dabei helfen würde, das heisst, rücksichtslos helfen würde. Ich sagte zu Franz ohne Umschweife, dass ich den Giessbach überhaupt nicht kenne, weder hinten noch vorne, er müsse mich
schon etwas besser aufklären, aber er wisse ja, dass ich immer an seiner Seite sei. Jetzt hob ein Erzählen an. Und je mehr ich hörte, umso mehr begann mich der Giessbach zu interessieren.»

Der Hilfesuchende
«Schon am nächsten Tag hatten wir ein Rendez-vous mit Rudolf von Fischer, einer Berner Koryphäe und späterer Präsident der ehrwürdigen Bernburger, der uns zu sich in sein traumhaft schönes Berner Zuhause einlud. Er schilderte uns, von welchen Gefahren das touristische Berner
Juwel Grand Hotel Giessbach am Brienzersee umlagert sei. Ein sogenanntes Jumbo-Chalet sollte anstelle des Märchenschlosses gebaut werden. Eine grauenhafte Vorstellung! Von Fischer bat Franz eindringlich um Hilfe und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass Franz ähnlich wie bei vorgängigen Rettungsaktionen eine zündende Idee haben könnte.»

Der erste Eindruck
«Kurz darauf, an einem trüben regnerischen Nachmittag, fuhren Franz, ich und unsere damals achtjährige Tochter Vera in den Giessbach. Das seit drei Jahren geschlossene Hotel hinterliess bei Vera und mir einen vernichtenden Eindruck. In den Zimmern standen noch die Betten aus den Fünfzigerjahren, Möbel, die man niemandem hätte zumuten dürfen. Das Hotel präsentierte sich in einem erbärmlichen Zustand», so
schildert Judith Weber ihren ersten Eindruck. «Franz liess sich davon nicht entmutigen. Er war sich auch bewusst, dass er immer mit meiner hundertprozentigen Unterstützung rechnen konnte. Doch wie sollte man das Juwel vor dem Abriss und der Verschandelung schützen? Es ging simpel und einfach ums Geld. Der Besitzer wollte drei Millionen Franken, die schon mal niemand bereit hatte. Also wer sollte dann das Geld geben?»

Das erste Crowdfunding
«‹Das Schweizervolk›, sagte Franz und präsentierte mir seine geniale Idee, die Stiftung ‹Giessbach dem Schweizervolk› zu gründen. Eine Idee, die sich im Laufe der folgenden Monate als zündend erwies. Tausende von Menschen aus der ganzen Schweiz und aus dem Ausland kauften Anteilscheine der Stiftung. Die Rettungsaktion ist, im Nachhinein betrachtet, wohl das erste Crowdfunding in der Schweiz, wenn nicht gar auf der ganzen Welt. Innert kürzester Zeit kamen so zwei Millionen Franken zusammen. Der Kanton Bern und die Gemeinde Brienz beteiligten sich mit je 500 000 Franken an der Stiftung. Damit konnte das Anwesen den Besitzern abgekauft werden.»

Das Dream-Team
«Doch nach der Rettung begann erst die grosse Arbeit. Nun ging es darum, den Hotelbetrieb aufzunehmen und sicherzustellen. Welch ein grosses Glück war es da, dass mein Bruder Fritz Kreis, der in den USA bis anhin renommierte Hotelbetriebe leitete, sich bereit erklärte, für ein äusserst bescheidenes Honorar und auf gut Glück den Hotelbetrieb in Gang zu setzen und dass er das Hotel in den folgenden Jahren höchst erfolgreich führen konnte. Franz, Fritz und ich funktionierten als eine Art Heilige Dreieinigkeit. Franz trommelte mit seiner Genialität und seinem Charisma das Geld zusammen. So besorgte er durch die Gründung der Aktiengesellschaft Parkhotel Giessbach AG weitere Finanzmittel. Bis 1988 konnte die Summe von zehn Millionen Franken in Form von Aktien zum Zweck einer Totalrenovation in mehreren Etappen zusammengetragen werden. Fritz seinerseits wirkte mit seiner Gewissenhaftigkeit und Professionalität für den reibungslosen Ablauf des Betriebs. Und mir fiel die ehrenvolle Aufgabe zu, dem Märchenschloss mit der passenden Ausstattung und Möblierung Leben einzuhauchen und die ursprüngliche Ambiance wiederherzustellen.»

Die Wiedereröffnung
«Die Wiedereröffnung im Frühsommer 1984 war deshalb für die ganze Familie Weber-Kreis ein Triumph- und Freudentag, denn auch Vera war uns bereits als junges Mädchen eine unersetzliche Stütze. Sie half überall mit, zuerst beim Einrichten und Dekorieren und später im Betrieb. Sie war sich nie für eine Arbeit zu schade!», fährt Judith Weber-Kreis dankbar fort. «Mich erfüllt es heute, 35 Jahre später, mit grosser Freude, dass Vera das Werk ihrer Eltern weiterführt. Denn der Giessbach bleibt für die Familie Weber ein wunderschön anzuschauender Meilenstein bei ihrem unermüdlichen Einsatz für Natur, Tier, Landschaft und Kulturgüter.»

 

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