Projekte zur Gewinnung von Windenergie werden je nach Region und Kanton unterschiedlich beurteilt. Am meisten Gegenwind haben sie im Kanton Zürich. Zwei Vertreter von Freie Landschaft Zürich geben Einblick in ihre Vorgehensweise und erklären, wie sich Gemeinden mit Mindestabständen Luft verschaffen können.
Wildberg ist eine der ersten Gemeinden, die eine «Mindestabstandsinitiative» angenommen haben. Worum geht es dabei?
Pierre-Yves Martin: Bei Windrädern mit mehr als 30 Metern Nabenhöhe wird mit diesen Initiativen ein vergrösserter Mindestabstand zu bewohnten Gebieten in die Bau- und Zonenordnung geschrieben. Im Richtplanentwurf des Kantons Zürich liegt dieser bei 300 Metern. Allerdings sind Windräder heute doppelt so hoch wie noch vor ein paar Jahren. Wir reden von 200 Metern und mehr, das höchste Windrad der Welt erreicht in China bereits eine Höhe von 280 Metern. Bei diesen Dimensionen sind 300 Meter Abstand viel zu wenig.
Die Gemeindeversammlung von Wildberg hat mit 100 Stimmen und einer Gegenstimme einen höheren Abstand als Minimum festgelegt.
Genau, der Abstand muss bei uns mindestens 700 Meter betragen. Dazu wurde ein Vorschlag aus dem Plenum angenommen, der mindestens «fünf Mal die Höhe des Windrads» als Abstand verlangt. Bei heutigen industriellen Windrädern erreicht man so bald einmal Distanzen von um die 1000 Meter. Dieser Wert gilt in zahlreichen Ländern Europas als Standard.
Das klare Resultat hat viele überrascht. Auch Sie?
Für mich ist es vor allem die demokratische Legitimierung für unsere Forderungen. Überrascht waren wohl Regierungsrat Neukom und die Zürcher Baudirektion. Sie gingen gemäss eigenen Aussagen davon aus, dass die Bevölkerung der Windenergie mehrheitlich zustimmen und sich kaum Widerstand regen würde.
In Wildberg ist der Widerstand fast geschlossen. Wieso das?
Wer hier wohnt, sucht die Nähe zur Natur und den dörflichen Charakter. Wildberg liegt etwas erhöht zwischen weitgehend unverbauten Hügeln. Es ist nachvollziehbar, dass die Bevölkerung sich dagegen ausspricht, wenn diese Idylle von riesigen Masten mit zischenden Rotoren zerstört werden soll.
Manche Gemeinden bemerken den Schaden erst, wenn er angerichtet ist.
Ich habe früher in einer WG mit einem Cousin gewohnt, der am Bau von Windanlagen beteiligt ist. Daher wusste ich, dass es nicht um kleine Windräder geht, wie man sie beispielsweise neben einigen Bauernhöfen sieht. Ein Blick in die Pläne des Kantons hat diesen Eindruck bestätigt und mir gezeigt, dass schnelles Handeln nötig ist.
Ein wichtiges Mittel im Widerstand ist die Information, allen voran die Visualisierungen.
Solche Massnahmen kosten Geld, aber sie zeigen den Behörden und der Bevölkerung klar und deutlich, was auf sie zukommt. Hier sollte man also keinesfalls sparen. Ausserdem können realistische Visualisierungen mit vertretbarem Aufwand auch selbst hergestellt werden, wenn das Geld knapp ist. Interessierte können sich bei Freie Landschaft Zürich melden.
Auch wenn Mindestabstände festgelegt werden, sind die Windparkpläne noch nicht vom Tisch, oder?
In Zürich wird der Kantonsrat vermutlich 2025 über die Richtplanänderungen entscheiden. Werden diese Pläne angenommen, werden die Windparks früher oder später grösstenteils auch gebaut, daran lässt sich nicht rütteln. Allerdings müssten mit unseren Initiativen beim Bau die jeweils definierten Mindestabstände eingehalten werden. Damit würden die Potenzialgebiete kleiner und wir könnten einen grossen Teil unserer unverbauten Landschaft erhalten.
Und deshalb raten Sie anderen Gemeinden, möglichst bald ähnliche Initiativen zu lancieren.
Ja, auf jeden Fall. Der Kanton wird zwar versuchen, diese Abstandsregelungen wieder aus den jeweiligen BZO zu streichen. Dagegen wird man sich aber juristisch wehren können. Und auch wenn das schliesslich gelingen sollte, sind solche Volksentscheide für die 180 Kantonsvertreterinnen und -vertreter und für potenzielle Investoren ein klares Zeichen, dass die lokalen Bevölkerungen solche Windräder nicht in ihrer Nähe haben wollen und andere Formen der Energiegewinnung bevorzugen. Im besten Fall erkennt man, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Technologie in unserem Land denkbar schlecht ist und kommt ganz von diesen Windparkplänen weg.
Falls das passiert, fällt ein Teil der Stromproduktion weg, die wir für den künftigen Bedarf brauchen, oder?
Zugegeben, man kann nicht zu allem «Nein» sagen und gleichzeitig immer mehr Strom verbrauchen. Dabei sind wir uns einig, dass «grüne Energie» wenn möglich bevorzugt werden sollte. Die Frage ist aber, ob eine Energieform als «grün» bezeichnet werden kann, die Landschaftswerte grossflächig zerstört und gleichzeitig nur ganz wenige Prozente unseres Strombedarfs decken kann.
Gibt es Alternativen?
Die grösste Chance sehe ich für Solaranlagen auf Dächern von Industriebauten und Wohnhäusern. Private Solarenergie wird allerdings viel weniger stark subventioniert als grosse Windenergie-Projekte. Das aktuelle Subventionsregime setzt leider viele falsche Anreize. Grundsätzlich bin ich dafür, dass man den Fächer öffnet und alle Energieformen neu und ganzheitlich beurteilt und dabei auch an die Speicher und das Stromnetz denkt. Nur so werden wir eine sozial- und umweltverträgliche Energiewende schaffen, die funktioniert und von der Bevölkerung auch mitgetragen wird. Einseitig die Windkraft zu pushen macht in dieser Optik wenig Sinn.
Die Politik sieht dies scheinbar anders.
Für viele gelten Windräder als – leider allzu gut sichtbares – Symbol für «grüne Energie». Faktisch ist die Windkraft aber viel weniger grün und deutlich invasiver als andere alternative Energieformen wie Solaranlagen. Dass diese inzwischen so diskret sind, ist bei der Symbolwirkung allerdings von Nachteil.
Interview mit Martin Maletinsky, Präsident Verein Freie Landschaft Zürich
Wildberg ist eine von 160 Gemeinden, wie sieht die Situation im gesamten Kanton Zürich aus?
Martin Maletinsky: Geschätzt ist knapp die Hälfte der Gemeinden von den geplanten Potenzialgebieten betroffen. Wir wissen von 26 Gemeinden, die sich gegen die Projekte wehren und dabei Mindestabstandsinitiativen lancieren.
Da regt sich ein vergleichbar hoher Widerstand.
Dass sich die Zürcher vehement wehren, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass der Kanton dicht besiedelt ist. Viele Bürgerinnen und Bürger sind von den Windprojekten direkt betroffen. Direkte Betroffenheit ist einer der wichtigsten Gründe, um aktiv zu werden und Zeit und Geld zu investieren.
Dass Zürich als eher wohlhabend gilt, hilft also in diesem Zusammenhang?
Die Betroffenen haben bessere Möglichkeiten, um ihre Anliegen durchzusetzen, sei es durch Infoveranstaltungen, Streuwürfe oder andere Mittel. Ausserdem sind die Gemeinden nicht auf die Standortgebühren angewiesen, die es gibt, wenn Windturbinen auf gemeindeeigenem Land zu stehen kommen.
Wie beurteilen Sie die Situation in der übrigen Schweiz?
Direktbetroffene sind generell eher gegen Windkraft-Projekte – mit Ausnahmen wie in Muttenz (BL). Dort geht es allerdings um ein Industriegebiet, das bereits vorbelastet ist. Kurz und gut: Die Ausgangslagen und Vorgehensweisen unterscheiden sich je nach Region sehr stark.
Was sind die wichtigsten Mittel des Vereins Freie Landschaft Zürich?
Information ist das A und O, dabei wirken vor allem Visualisierungen. Ich erinnere mich insbesondere an die Infoveranstaltung in Russikon (ZH). Da ging ein eindrückliches Raunen durch das zahlreiche anwesende Publikum, als die Visualisierung der geplanten Windräder in der vertrauten Landschaft gezeigt wurde.
Die meisten Menschen sind sich nicht bewusst, wie hoch die Masten tatsächlich sind.
Genau, umso wichtiger sind Fakten. Kaum jemand ist sich bewusst, dass neue Windturbinen vier Mal höher als Hochspannungsmasten sind. Letztere will man aus der Landschaft verbannen, dafür baut man heute viel höhere Windräder hinein.
Ein Grund dafür ist die Angst vor Energiemangel. Wie argumentieren Sie, wenn diese zur Sprache kommt?
In der windarmen Schweiz ist der Er- trag aus Windenergie verschwindend klein. Selbst das kleine und alte Wasserkraftwerk Letten in Zürich produziert drei Mal mehr Strom als eine Windturbine. Das Kraftwerk Eglisau liefert gar so viel Energie wie 47 Windräder.
Wasserkraftwerke haben aber kaum Chancen auf Realisierung – im Gegenteil zu Windprojekten. Wieso ist das so?
Ein Grund sind unglückliche Allianzen zwischen Produzenten von Windanlagen, Politik und Grundeigentümerinnen und -eigentümern. Letztere erhalten teilweise sehr beträchtliche Standortgebühren, wenn Windturbinen auf ihrem Land zu stehen kommen. Zudem werden Gegenmeinungen mit dem Argument der «grünen Energie» im Keim erstickt.
Sie reden in diesem Zusammenhang von Güterabwägung.
Genau, man darf sich nicht davon täuschen lassen, dass bei Windrädern oben kein Rauch herauskommt. Denn die ökologischen Auswirkungen sind im Verhältnis zur produzierten Strommenge enorm. Meine Empfehlung ist, aufmerksam und kritisch zu bleiben und das grosse Ganze im Blick zu behalten.