17.07.2023
Fondation Franz Weber

Die ökologische Weisheit der Naturvölker

Die Ältesten der Kogi, einem indigenen Volk aus dem Amazonas, sind zu uns gereist, um ihr umfangreiches Wissen über die Welt mit uns zu teilen. Sie möchten uns helfen, die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen anders anzugehen und gemeinsam das Leben auf unserer Erde in seiner Vielfalt zu bewahren.

Gelegenheit, einen Tag im Wald mit den Führern der Kogi zu verbringen und Hintergründe über ihre Weisheit und Verbundenheit mit der Natur zu erfahren. Die Kogi sind ein Volk, das in den Wäldern im Norden von Kolumbien zu Hause ist. Sie leben seit 4000 Jahren in Harmonie mit der Umgebung und bewahren trotz Kolonialismus und Industrialisierung ihr ursprüngliches Wissen zur Aufrechterhaltung des ökologischen, sozialen und spirituellen Gleichgewichts der Erde. Sie sind eine sozial und ökologisch hochentwickelte Kultur und einzigartige Experten der Erhaltung und Regeneration von Ökosystemen. Naturvölker schützen und ehren ihre Gebiete wie kaum andere Völker.

Die Erde ist krank
Bis in die 90er-Jahre haben die Kogi zurückgezogen in den Bergen gelebt und Berührungen mit der westlichen Welt abgelehnt. Hinsichtlich der Dringlichkeit der Situation auf der Erde haben sie sich entschieden, mit der Aussenwelt Kontakt aufzunehmen und uns zu helfen, die Zerstörung der Erde zu
beenden. So ginge es nicht mehr lange weiter, höchstens ein paar Jahre, weil die Erde krank ist und stirbt und das Leben in Gefahr ist, lautet ihre Warnung. Die Industrialisierung hat die Erde zu einem Warenlager umgewandelt, wo man sich unendlich bedienen kann. Die drei Ältesten der Kogi, zwei Männer und eine Frau, alle über 80 Jahre, und ein Jüngerer, der auf Spanisch übersetzt, haben die lange Reise auf sich genommen, um sich mit uns auszutauschen. Die Kogi-Ältesten gelten als Weisheitshüter, die für die Bewahrung der spirituellen und materiellen Kraft sorgen. Ich habe hohe Achtung vor diesen älteren, zarten Menschen, die vom anderen Ende der Welt zu uns kommen, um mit ihrem Wissen dazu beizutragen, die Erde wieder ins Gleichgewicht zu bringen. In ihren gewobenen, weissen Kleidern, nackten Beinen und Sandalen sind sie nicht für unsere kühlen Regionen und stacheligen, harten Böden ausgerüstet.

Lucas Buchholz, der ein Buch über die Kogi geschrieben hat, und sein Team, lokale Forstverantwortliche, Gemeinderäte und Waldkenner treffen die Kogi in einem Wald im Zürcher Oberland. Es ist eine Begegnung zwischen indigenem Wissen und moderner Forstwissenschaft.

Alles ist miteinander verbunden
Wir machen einen Rundgang in einem bewirtschafteten Wald, einem dieser Wälder, wie es viele im Mittelland gibt: viele Forststrassen, Rückengassen, Fichtenplantagen, neu gepflanzte Douglasien, immer wieder gelichtete Stellen mit viel Brombeergestrüpp, kaum alte Bäume. Für die Kogi, die im Urwald leben, kein schönes Bild. Wohl eher ein Muster für den Zustand der Erde, für unsere Misshandlung der Erde.

Der Förster leitet die Gruppe. Er macht sich Sorgen um die Bäume, die unter der Trockenheit oder Krankheiten leiden. Wir diskutieren mit den Kogi, wie mit den absehbaren und einschneidenden
Veränderungen in unseren Wäldern umgegangen werden kann und wie diese als Lebensraum für Menschen, Pflanzen und Tiere erhalten werden können.

Für die Kogi ist alles unsichtbar miteinander verbunden, alles ist eins. Die Bäume, das Wasser, die Berge, die Flüsse und Seen, alles ist vernetzt, und wir müssen darauf achten, dass das Gleichgewicht nicht gefährdet wird. So spiele beispielsweise der Wolf in unserem Ökosystem eine wichtige Rolle, und wir sollten ihn als Teil des Ganzen anerkennen und ihm einen Platz gewähren. Sie deuten uns darauf hin, das Allerwichtigste sei, die Natur zu respektieren und ihr nicht zu schaden, sie in ihrer Lebendigkeit zu ehren und zu unterstützen. Sobald wir die störenden Eingriffe unterlassen, beginnt der Prozess der Regenerierung. Das geschieht ohne das Zutun des Menschen durch die Selbstregulierung der Natur.

Wissen wiederfinden
Die Kogi sehen Wälder als lebendige Wesen, Pflanzen und Tiere als unsere Schwestern und Brüder. Die Natur sei eine Lehrmeisterin, und sie spricht zu uns. Wir müssen ihr nur zuhören können. Das Wissen befindet sich in der Erde, in den Bäumen, im Wasser, in den Steinen. Das Wasser, die Steine, die Bäume sprechen täglich zu uns, so die Botschaft der Kogi. Sie erzählen von den Gesetzen der Erde, die sie Mutter nennen, und über die Prinzipien des Ursprungs und des Lebens. Wenn wir das ursprüngliche Wissen zurückgewinnen, wird uns die Mutter wieder zuhören und uns wieder helfen.

Das bewohnte Territorium sei der Schlüssel zum Leben. Menschen, die seit Generationen an einem Ort verwurzelt sind, sind die Hüter der Orte. Sie verfügen über das traditionelle Wissen und die wichtigen Kenntnisse. Diese Menschen sind emotional an einen Ort gebunden und kümmern sich um ihn. Sie lehren uns, wie wir uns wieder mit der Natur verbinden können, unsere Wurzeln finden und den eigenen Ursprung bewahren. Es ist sehr wichtig, die Beziehung zu unseren Wurzeln, zur Natur, zur Erde, zum Wasser und zu den Bäumen wiederzufinden.

Alte Bäume bewahren
Alte Bäume, sogenannte Mutterbäume, sind von grosser Bedeutung für eine Region. Sie sind die Hüterinnen des Wissens des Ökosystems, sagen die Kogi. Es sei sehr wichtig, diese zu bewahren. Die Mutterbäume nähren und erhalten in einem kollektiven Geflecht die anderen Bäume. Die Botschafter aus dem Amazonas fordern uns auf, unsere Mutterbäume und unsere heiligen Orte zu finden und zu schützen, denn unsere Wälder leiden. Wir machen uns auf die Suche nach den Mutterbäumen im Wald. Wir finden keine, sie wurden alle gefällt, lediglich Enkelbäume sind zu finden. Bei den wenigen Bäumen, die über 100-jährig sind, handelt es sich meist um Eichen.

Der Förster führt uns zu gepflanzten jungen Bäumen, die hinter Zäunen wachsen, damit die Rehe diese nicht beschädigen. Die Kogi machen uns darauf aufmerksam, keine fremden Bäume zu setzen, denn sie tragen kein einheimisches Wissen in sich und stören das Gleichgewicht. Wildformen haben deutlich mehr Kraft und eigene Stärke. Es sei unsere Aufgabe, Technologien so anzuwenden, dass sie mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie. Zudem gibt es Orte, die sehr wichtig sind für bestimmte Pflanzen und Tiere, die nicht gestört und in Ruhe gelassen werden sollten.

Am Ende des Treffens sind einige Förster nicht mehr da, sie konnten wohl dem indigenen Denken nicht folgen. Die Gebliebenen sind sichtlich berührt. Ich höre, dass es vielen Anwesenden ein Anliegen ist, alte Bäume und spezielle Orte zu schützen. Ich hoffe sehr, dass dies umgesetzt wird – schweizweit. Das
Wissen der Kogi ist so wichtig für uns, ich wünschte mir, dass wir mehr solche Kontakte hätten. Sie fliegen bald wieder heim, in ihren Wald. Es ist nun an uns, ihrem Rat, ihrer ökologischen Weisheit,
ihrem Beispiel zu folgen.

 

Mehr über die Kogi
Das Überleben der Kogi ist gefährdet. Durch die Zunahme von Abholzung, Tourismus, Landwirtschaft, Kraftwerke und Bergbau in und um den Amazonas wird das klimatische und biologische Gleichgewicht der gesamten Region zerstört. Um Industrieanlagen und Häfen zu bauen, wurden Mangrovenwälder an der Küste trockengelegt. Das hat den Wasserkreislauf in den Bergen verändert, wo das Naturvolk lebt. Es gebe keinen Regen mehr, und die Flüsse versiegen, denn das Wasser in den Bergen hat seinen Ursprung unten am Fluss, in den Lagunen. Für die Kogi ist es essenziell, die Territorien und die heiligen Orte, die sie durch die Kolonialisierung verloren haben, zurückzuerhalten und zu regenerieren.Aktuelle Dokumentationen
• Dokumentarfilm «Aluna – Ein ökologischer Warnruf der Kogi» von Alan Ereira
• Buch «Kogi: Wie ein Naturvolk unsere moderne Welt inspiriert» von Lucas Buchholz

 

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