04.05.2021
Dr. Monica V. Biondo

«Der Kaiser ist nackt!» – die Fondation Franz Weber entlarvt die marine Zierfischfisch-Industrie

Die Händler von Korallenfischen für die Aquarienhaltung beharren darauf, dass ihr Kommerz nachhaltig sei, bleiben den Beweis dafür jedoch schuldig. Wie kann sich eine Branche der Nachhaltigkeit rühmen, wenn es ihr noch nicht einmal gelingt, die genaue Anzahl der gehandelten Tiere zu bestimmen – von Art und Herkunft der Fische ganz zu schweigen? So lässt sich auch nicht herausfinden, wie sich die Entnahme von Millionen von Korallenfischen für den Aquarienhandel auf die Korallenriffe auswirkt. Eine aktuelle wissenschaftliche Studie der Fondation Franz Weber (FFW) über den Handel mit Korallenfischen hat ergeben, dass es bislang praktisch unmöglich ist, diese Industrie zu durchleuchten.

Das Verhalten der Zierfischindustrie erinnert an das Märchen «Des Kaisers neue Kleider» von Hans Christian Andersen: Eines Tages kamen zwei Betrüger zum Kaiser und behaupteten, sie könnten ihm die prächtigsten Kleider weben, die die Welt je gesehen hatte. Die Stoffe besässen zudem die ganz besondere Eigenschaft, für dumme Kaiser ist nackt!» – Franz Weber entlarvt Zierfisch-Industrie Menschen unsichtbar zu sein. Als der Kaiser dann in seiner neuen Garderobe auf die Strasse ging, wagten seine Untertanen nicht, ihn darauf hinzuweisen, dass er keine Kleider trug – bis schliesslich ein Kind mit der Wahrheit herausplatzte: «Der Kaiser ist ja nackt!»
Die Fondation Franz Weber ist in die Rolle des Kindes aus dem Märchen geschlüpft: Schritt für Schritt entlarvt sie die marine Zierfischindustrie. Denn es ist leider so: die Weltgemeinschaft unternimmt zu wenig, um den Handel mit diesen Fischen zu kontrollieren. Es ist höchste Zeit, die Wahrheit auszusprechen und die Nachhaltigkeitslüge dieser Industrie aufzudecken.

Korallenriffe gelten als die «Regenwälder der Meere». Ihre Funktion für den Planeten ist damit weit wichtiger, als Unterwasserschönheiten fürs Aquarium zu liefern. Obwohl Korallenriffe weniger als 0.1 Prozent der Ozeanflächen ausmachen, beherbergen sie 25 Prozent aller Meeresarten. Sie schützen die Küsten vor den Auswirkungen von Wirbelstürmen und stellen den Lebensunterhalt von geschätzt einer halben Milliarde Menschen sicher: sie dienen ihnen als Nahrungsquelle und bieten ihnen als attraktive Reiseziele die Möglichkeit vom Tourismus zu leben. Mit Korallenriffen verbindet sich sogar die Hoffnung auf neue Medikamente zur Behandlung von Krebs und anderen Krankheiten.

«Meere schützen wo sie sind!»
Nach diesem Motto engagiert sich die Fondation Franz Weber aktiv für den Schutz der Meere und ihrer Bewohner. Nachdem sie mit dem Aus für das antiquierte Meeres-Grossaquarium-Projekt des Zoo Basel im Jahr 2019 einen Sieg errungen hat, hält die FFW ihr damals gegebenes Versprechen, die Meere und die Meereslebewesen vor Ort zu schützen. Daher setzt sie sich gemeinsam mit Regierungen und Nichtregierungsorganisationen im Rahmen des Projekts Gran Sea Flower für die Erweiterung der UNESCO Weltnaturerbe-Schutzzone in der Karibik ein, welche von 180 000 auf 500 000 Quadratkilometer vergrössert werden soll.
granseaflower.com

 

Doch die «Regenwälder der Meere » sind in grosser Gefahr. Durch den Klimawandel erwärmt sich das Oberflächenwasser stärker als früher, was zur Korallenbleiche, zur Übersäuerung der Ozeane und schlussendlich zum Absterben der Korallenriffe führt. Verschmutzung, physische Zerstörung für Bau- und Industrieprojekte oder die Vergiftung durch Zulauf aus der Landwirtschaft schädigen die Riffe zusätzlich. Und auch die Überfischung fordert ihren Tribut.

Welche Auswirkungen die Entnahme von Korallenfischen auf die Riffe hat, ist dagegen weitaus schwieriger festzustellen. Obwohl es sich bei der marinen Zierfischindustrie um ein Geschäft handelt, das viele Milliarden Dollar einbringt, liegen nur wenige Daten über diese Art des Handels vor, wobei Meeresfische und Süsswasserfische noch nicht einmal getrennt erfasst werden. Daher hat die FFW eine wissenschaftliche Studie durchgeführt, um den marinen Zierfischhandel unter die Lupe zu nehmen. Laut dieser Studie gelangen geschätzt 15 bis 30 Millionen Korallenfische pro Jahr in den weltweiten Handel. Doch die Zahl der Korallenfische, die tatsächlich dem Meer entrissen werden, ist um ein Vielfaches höher, denn die Exemplare, die innerhalb der Lieferkette sterben, werden nicht erfasst.

Der Handel mit marinen Zierfischen begann in den 1930er Jahren in Sri Lanka und weitete sich in den 1950er Jahren allmählich aus, als sich das Flugzeug als wichtigstes Transportmittel etablierte. Heute wird die Zahl der Exportländer auf über 50 geschätzt. Allerdings werden die Tiere nicht zwangsläufig in dem Land gefangen, das sie anschliessend exportiert. Und so lässt sich – anders als bei anderen Wirbeltieren, bei denen das Herkunftsland, der Ort und die Zeit des Transfers sowie der Bestimmungsort oder sogar der Endabnehmer bekannt sind – der Herkunftsort der Fische unmöglich bestimmen.

Der Handel mit Meereszierfischen ist intransparent, da in der Regel sehr viele Akteure beteiligt sind. Von den Fischern am Fangort – respektive aus den Zuchtanlagen – gelangen die Tiere über (oft mehrere) Zwischenhändler und Händler, Exporteure und Importeure zu den Zwischenhändlern in den Importländern. Allerdings stammen nur wenige Korallenfischarten aus Zuchtanlagen, da das Wissen über die Zucht von Meereszierfischen noch sehr gering ist. Nur etwa 25 Arten von Korallenfischen pflanzen sich in Gefangenschaft in kommerziellen Mengen fort, während die Zucht von 300 anderen Arten derzeit erforscht wird. Alle anderen gehandelten Arten dieser Fische, und das sind nahezu 2500, stammen aus der freien Natur und werden daher in Korallenriffen mit oftmals zerstörerischen Methoden gefangen.

Es ist zu hoffen, dass sich die internationale Staatengemeinschaft auf dem nächsten Klimagipfel im November 2021 in Glasgow griffige Ziele setzt, sonst ist es für die Korallenriffe und ihre Bewohner zu spät!

 

Korallenriffe gehören zu den grossen Verlierern des Klimawandels: Ein Drittel von ihnen ist bereits verschwunden, und wir erleben derzeit ein massives Korallensterben. Auch das macht die Haltung von Korallenfischen in Aquarien fragwürdig – eine Einsicht, zu der die Akteure, die weltweit in den marinen Zierfischhandel involviert sind, jedoch kaum freiwillig gelangen werden. Daher benötigen wir ein globales Überwachungssystem, um an genaue und zeitnahe Daten über die Anzahl und die Arten der gehandelten Meereszierfische zu gelangen.

In diesem Zusammenhang kommt dem Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (CITES) eine wichtige Funktion zu. Aufgabe von CITES ist es, die Nachhaltigkeit des internationalen Handels mit bedrohten Tieren und Pflanzen sicherzustellen. Der Artenhandel wird jedoch nur dann überwacht, wenn die jeweiligen Tiere und Pflanzen in den entsprechenden Anhängen des Übereinkommens gelistet sind. Die Aufnahme der Korallenfische in die CITES-Anhänge wird jedoch unter anderem dadurch erschwert, dass viele von ihnen nicht in der Roten Liste gefährdeter Arten der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) aufgeführt sind. Grund dafür ist, dass ihr Schutzbedarf nie beurteilt wurde, da noch zu wenig über ihre Biologie oder Ökologie bekannt ist. Und ohne Schutzstatus, ohne das «Rote-Liste-Label », sinken die Chancen einer Art, geschützt zu werden, dramatisch.

Der wissenschaftlichen Arbeit der FFW, die seit 1989 Beobachterin innerhalbvon CITES ist, ist es zu verdanken, dass sich die 183 CITES-Vertragsstaaten  im August 2019 darauf einigten, den Handel mit marinen Zierfischen endlich einer Prüfung zu unterziehen. Unter anderem aufgrund der Covid-19-Pandemie wurden bisher jedoch leider keine entsprechenden Schritte eingeleitet.

Angesichts des beklagenswerten Zustands der Korallenriffe ist es unbegreiflich, dass heute, im 21. Jahrhundert, der Handel mit einer ganzen Gruppe von Arten (es sind 4000 Korallenfischarten bekannt) noch genauso wenig überwacht und reguliert wird wie vor fast 100 Jahren – ein Handel, dessen einziges Ziel es ist, die Tiere als hübsche Dekoration – als «Zierfische» – in Aquarien einzusperren. Korallen existieren seit 400 Millionen Jahren und wir wollen, dass sie mindestens noch einmal so lange leben. Doch das kann nur gelingen, wenn die Menschen die Korallenriffe nicht länger plündern, sondern schützen. Daher rufen wir laut: «Der Kaiser ist nackt!»

 

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