Die wunderschönen Weinberge des Lavaux, in den Siebzigern von Franz Weber gerettet und anschliessend zum Weltkulturerbe ernannt, sind in akuter Gefahr. Listige Bauherren und eine Revision des Nutzungsplans im Kanton Waadt bringen die einmalige Landschaft am Genfersee in Bedrängnis. Der Handlungsbedarf der FFW sowie von Helvetia Nostra und Sauver Lavaux ist entsprechend gross.
Der Dieb ist in der Regel stets gerissener als sein Opfer. Bauherren und Spekulanten, für die allein nur der Profit zählt, achten ähnlich stark auf rechtliche Schlupflöcher und tricksen somit die Bürgerinnen und Bürger aus, die sich aktiv für den Natur- und Landschaftsschutz einsetzen. Dieser bewusst provokative Vergleich soll die Gefahren verdeutlichen, mit denen derzeit das Lavaux zu kämpfen hat und das obschon dieses zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Doch trotz der Initiativen von Franz Weber und der Wächterrolle, die Sauver Lavaux und Helvetia Nostra einnehmen, ist das Gebiet leider keine unantastbare Stätte, die durch einen völkerrechtlichen Vertrag vollends und auf alle Zeit geschützt ist. Die Bedrohungen werden aktuell immer konkreter: Da sind zum einen die wachsenden Begehrlichkeiten skrupelloser Bauunternehmer und da ist zum anderen die Revision des kantonalen Nutzungsplans (PAC) durch den Grossen Rat von Waadt, über die diesen Herbst im Plenum abgestimmt werden soll. Im Klartext bedeutet das: Die Gefahr ist gross, daher besteht auf allen Ebenen dringender Handlungsbedarf. Die Fondation Franz Weber, Helvetia Nostra und Sauver Lavaux wollen und werden das Werk ihres berühmten Gründers mit aller Kraft fortsetzen.
Man muss mit der Arbeitsweise der UNESCO recht gut vertraut sein, um die bedrohliche Situation besser zu verstehen. Auf Anträge von aussen hin oder aufgrund interner Entscheidungen nimmt die UNESCO schützenswerte Stätten in ihre Welterbeliste auf. Und wie Anna Zangger, Rechtsanwältin, Mitglied der Geschäftsleitung der Fondation Franz Weber und Leiterin der internationalen Kampagnen, bekräftigt, hat «diese Aufnahme keine direkt anwendbare Rechtswirkung.»
Konkret heisst das, dass es dem jeweiligen Land obliegt, angemessene Schutzmassnahmen zu ergreifen, um den langfristigen Erhalt und den Schutz der Welterbestätten sicherzustellen. «Wenn diese stattdessen verunstaltet werden, stuft die UNESCO sie als gefährdet ein und deklassiert sie dann gegebenenfalls kurzerhand», präzisiert Anna Zangger. Das jüngste traurige Beispiel für dieses Vorgehen ist die Hafenstadt Liverpool, die soeben von der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO gestrichen wurde, weil das historische Hafenviertel durch Immobilienbau einer Verunstaltung zum Opfer fiel. Die vier Bandmitglieder der Beatles, von denen nur noch zwei leben, würden sich die Augen ausweinen.
Nationale Institutionen zuständig
In einem Interview mit den geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Zeitung Le Temps erläutert die erfahrene Anwältin
Anna Zangger die Modalitäten einer Aufnahme wie folgt: «Das Übereinkommen zum Schutz des Weltkultur- und des Naturerbes ist für Staaten nur dann verbindlich, wenn eines ihrer Baudenkmäler oder eine herausragende Stätte in die Welterbeliste aufgenommen werden soll. Ihr künftiger Schutz ist daraufhin Aufgabe der nationalen Institutionen und hängt von deren guten Willen ab. Für das Lavaux bedeutet das konkret: Das Gebiet ist leider keine unantastbare Stätte, die durch einen völkerrechtlichen Vertrag angemessen geschützt wird, sondern vielmehr ist es so, dass in der Schweiz Bund, Kantone und Gemeinden konkret für den Schutz aufkommen müssen».
Jenseits aller noch so guten Absichten geht es hier um reine Realpolitik. Angesichts der politischen und rechtlichen Fakten müssen wir uns bewusst werden, dass das pittoreske Lavaux-Gebiet in naher Zukunft nachhaltig verändert werden könnte. Grund dafür ist der kantonale Nutzungsplan (PAC), den die Kantonsregierung derzeit für eine Revision in die Vernehmlassung schickt, über die noch diesen Herbst abgestimmt werden soll. Historisch betrachtet soll mit diesem Text der Gegenentwurf, vorgelegt von der kantonalen Legislative, umgesetzt werden. Pikant: Diesem Gegenentwurf, die Initiative «Rettet das Lavaux III», hatte die Waadtländer Bevölkerung bereits zugestimmt.
Irreparabler Eingriff
Suzanne Debluë, Präsidenten des Komitees von Sauver Lavaux, die Vera Weber als Vizepräsidentin an ihrer Seite weiss, macht aus ihrer Besorgnis keinen Hehl: «Der PAC könnte eine historisch gewachsene Weinbaulandschaft verändern, ja sogar gänzlich entstellen, indem er im Namen einer Pseudo-Diversität andere Anbauformen zulässt, die nichts mehr mit dem eigentlichen Weinbau zu tun haben». Wie die Präsidentin von Sauver Lavaux weiter ausführt, «sieht die Revision auch die Entfernung der entlang des Weinbergs säuberlich errichteten Rebmauern vor». Daraus ergeben sich freilich neue Möglichkeiten für Bauwütige. Die bestehenden Winzerhäuschen könnten nämlich vergrössert werden, um sie dann in «Mini-Zweitwohnungen» – wie sie Vera Weber treffend bezeichnet – umzuwandeln. Suzanne Debluë befürchtet hier zurecht das Schlimmste.
Trojanisches Pferd
Die Gefahr einer Verunstaltung des Gebiets ist umso realer, da mehrere – darunter durchaus ernstzunehmende Bauträger – bereits auf der Lauer liegen. Für das bekannteste und zugleich unverhältnismässigste Projekt in Treytorrens in der Gemeinde Puidoux zeichnet die Immobiliengruppe Orlatti zusammen mit der Erbengemeinschaft Testuz verantwortlich. Sauver Lavaux und Helvetia Nostra haben Beschwerde gegen dieses Projekt eingelegt, das ähnlich wie ein trojanisches Pferd in die «Festung» Lavaux eingeschleust werden soll. Es umfasst hochwertige Wohnungen, ein Hotel, ein Restaurant, mehrere Geschäfte sowie eine Tiefgarage mit fast 50 Stellplätzen für Autos. Das Kantonsgericht hat das Dossier genehmigt, das nun vor dem Bundesgericht hängig ist.
Helvetia Nostra und Sauver Lavaux hoffen darauf, beim Bundesgericht Gehör zu finden, da das Kantonsgericht nicht alle relevanten Interessen berücksichtigt hat. Darunter fällt insbesondere die Aufnahme des Weilers ins ISOS, das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung, das vom Bundesamt für Kultur verwaltet wird und welches prinzipiell für die Begleitung der UNESCO-Welterbestätten zuständig ist. Durch dieses Versäumnis könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden, der den Schutz des Lavaux insgesamt gefährdet.
Verlust der UNESCO-Anerkennung?
Eine Verunstaltung des Schutzgebiets Lavaux stünde in eklatantem Widerspruch zu den Initiativen von Franz Weber und dem von der Waadtländer Bevölkerung mehrfach bekundeten Willen, das Gebiet zu schützen. Sie wäre daher nicht nur ein herber Rückschlag, sondern darüber hinaus ein Verrat an der Arbeit, die die Gründer von Sauver Lavaux und all ihre Partner im Laufe der Jahre geleistet haben. Sollten sich die im Lavaux vorgenommenen Veränderungen unglücklicherweise mehren, stünde die Anerkennung durch die UNESCO auf dem Spiel. Die Gefahr, dass das passiert, hat insbesondere mit der wirtschaftlichen Situation der Winzerinnen und Winzer der betroffenen Gemeinden zu tun, die sich zunehmend gezwungen sehen, bestimmte wirtschaftliche Faktoren zu berücksichtigen.
Blossstellung der Schweiz
Ein Rückzieher seitens der UNESCO wäre ein Fiasko für das Schweizer Kulturerbe und darüber hinaus ein vernichte der Schlag für die Waadtländer und somit auch Schweizer Weinwirtschaft. Auch das Image unseres Landes als touristische Destination, für das eine nachhaltige Entwicklung unabdingbar ist, wäre von einem solchen Debakel direkt betroffen. Dieses erbärmliche Beispiel für die Verantwortungslosigkeit eines reichen Landes würde die Schweiz vor den führenden Politikerinnen und Politikern und den Medien der ganzen Welt blossstellen: Was für eine Schande und nicht nur eine nationale.
Für Tourismus und Wirtschaft
Vor diesem Hintergrund wollen die führenden Köpfe von Helvetia Nostra und des Komitees Sauver Lavaux, vereint unter dem Banner von Vera Weber, mehr denn je alles daran setzen, die Öffentlichkeit, die Medien und die Politikerinnen und Politiker zu mobilisieren. Das Lavaux muss endlich vollumfänglich geschützt und vor der Dummheit und Gier einiger Menschen bewahrt werden. Einheimische wie Touristen besuchen die Schweiz nicht, um sich moderne Villenviertel anzusehen, sondern um einzigartige Landschaften zu bewundern. Der gesunde Menschenverstand allein genügt, um uns an dieses Faktum zu erinnern, und das gilt nicht nur für den Tourismus, sondern für die Wirtschaftskraft des ganzen Landes.
Wir sind nun gefordert: Ob es um öffentliche Stellungnahmen, Leserbriefe, politische Vorstösse, Spenden und Unterstützung aller Art geht oder um die Sensibilisierung von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern oder regionale Unterstützungskomitees: Sie alle, verehrte Leserinnen und Leser des Journal Franz Weber können aktiv werden, um das Schlimmste zu verhindern. Sauver Lavaux und Helvetia Nostra wissen, dass sie auf Sie zählen können und das in der ganzen Schweiz.
«Rettet das Lavaux I, II und III»
Was noch getan werden muss! Anfang der Siebziger Jahre wird Franz Weber von einem Winzer um Hilfe gebeten: Das Lavaux soll zubetoniert werden. Ohne zu zögern, startet der berühmte Schweizer Umweltschützer eine Kampagne zur Erhaltung des gesamten Gebiets. Er gründet 1972 die Vereinigung «Sauver Lavaux» und lanciert die Standesinitiative «Rettet das Lavaux I». Ergebnis: Der Schutz dieser einzigartigen Landschaft wird in der Waadtländer Verfassung verankert, und für die Regelung dieses Schutzes wird ein spezielles Gesetz geschaffen, das 1979 in Kraft tritt. Nach der Revision der Verfassung im Jahr 2002 droht der dank Franz Weber eingeführte Gesetzesartikel zu verschwinden. Daher lanciert dieser die Initiative «Rettet das Lavaux II», die zur Wiederaufnahme des Artikels in die Waadtländer Verfassung führt. Die Initiative «Rettet das Lavaux III», die 2009 gestartet wurde, um das Gesetz zur Umsetzung der Verfassungsbestimmung gezielt zu verbessern, scheitert 2014 bedauerlicherweise an der Urne zugunsten eines von der Waadtländer Regierung vorgelegten Gegenentwurfs. Mit derselben Stossrichtung hat die Kantonsregierung vor Kurzem ihren Entwurf des kantonalen Nutzungsplans «Lavaux» (PAC Lavaux) vorgelegt, mit dem sich der Grosse Rat im Oktober 2021 befassen wird. Dieser Entwurf enthält einige Fallstricke, darunter insbesondere die Möglichkeit, die symbolträchtigen Rebmauern zu zerstören, die Winzerhäuschen für andere Zwecke als den ausschliesskucgeb Weinbau zu nutzen und Hochstammbäume zu pflanzen. |