05.04.2023
Dr. Diana Soldo

Unsere Buche muss gerettet werden!

Unsere Buche gilt als nicht klimatauglich, weil sie mit der Trockenheit zu kämpfen hat. Deshalb wird sie gefällt und mit neuen Arten ersetzt. Sie als Verliererin des Klimawandels zu bezeichnen und sich ihr zu entledigen, löst nicht das Problem des Klimawandels – im Gegenteil, es wird es verschlimmern.

Die Rotbuche (Fagus sylvatica), in der Umgangssprache gewöhnlich als Buche bezeichnet, ist in der Schweiz die häufigste Laubbaumart. In den Wäldern des Mittellands ist jeder vierte Baum eine Buche, und sie hat somit einen grossen ökologischen Stellenwert. Die Buche als nicht zukunftstauglich zu klassifizieren, ist ein Zeichen der Überheblichkeit und des Kleingeistes des Menschen. Wir haben wenig Kenntnisse, wie sich das Klima lokal und saisonal verändern und wie dieses sich auf das Ökosystem auswirken wird. Das Wichtigste ist, die Anpassungsfähigkeit der Bäume und der Wälder zu fördern.

Die genetische Vielfalt sichert das Überleben
Die Buchen sind seit Tausenden von Jahren bei uns heimisch und haben dadurch eine sehr grosse genetische Vielfalt und somit eines der grössten Anpassungspotenziale, auch an den Klimawandel. Die genetische Vielfalt ist für das langfristige Überleben jeder Art von grosser Bedeutung und Grundlage für den Erhalt der Biodiversität. Sie ist das Fundament der Fortpflanzung und hilft Arten, Krankheiten zu widerstehen und sich an Veränderungen der Lebensbedingungen anpassen zu können. Angesichts der sich ändernden Klimabedingungen ist die Anpassungsfähigkeit, auch als Resilienz bekannt, von grosser Bedeutung. Arten wie die Buche mit einer hohen genetischen Vielfalt können sich leichter an die neuen Lebensbedingungen anpassen. Besonders gefährdet sind Bäume mit geringer genetischer Vielfalt, was bei gepflanzten Arten aus Züchtungen und fremden Arten immer der Fall ist. Deshalb ist es für den Wald und für uns wichtig, der Erhaltung der genetischen Vielfalt und dem Austausch von genetischem Material Sorge zu tragen.

Wir sollten der natürlichen Selektion vertrauen, die hat Millionen von Jahren Übung, wir Menschen hingegen knapp ein paar Tausend Jahre, seit wir Pflanzen und Tiere züchten. Die natürliche Selektion wird die Bäume wachsen lassen, die sich am besten anpassen können, das macht die Natur seit Millionen von Jahren. Die Meinung, dass wir es besser können, ist ein Irrtum: Dort, wo der Mensch bisher eingegriffen hat, kamen die Ökosysteme aus dem Gleichgewicht. Beispiele gibt es genügend davon. Der Fall der Fichte, die bei uns im Mittelland im grossen Stil gepflanzt wurde und nun massenweise abstirbt, ist ein aktuelles Beispiel dafür.

Buchen zu fällen, um gezüchtete Bäume mit einer niedrigen genetischen Variabilität zu pflanzen, gleicht einem Baumgenozid.

Unsere Böden müssen geschützt werden
Die Buche, so wie alle Bäume, leidet vor allem dort, wo Böden durch die schweren Maschinen so verdichtet wurden, dass sie kaum noch Luft und Wasser speichern können. Auf Böden mit sehr guter Wasserspeicherleistung gedeiht die Buche weiterhin gut.

Intakte Böden speichern mehr Wasser und ermöglichen den Bäumen, tiefe und gesunde Wurzeln zu entwickeln, die wiederum mehr Wasser aufnehmen können. Wo der Boden intakt ist, gedeihen ausserdem die Pilze besser, und diese machen die Pflanzen resistenter gegen Hitze und Trockenheit und stärken deren Abwehrmechanismen. 90 Prozent aller Landpflanzen gehen Symbiosen mit Wurzelpilzen ein, so auch die Buche. Sie verknüpfen sich mit den Pilzfäden zu Strängen, die Stoffe transportieren und einen regen Austausch zwischen Pflanzen und Pilzen fördern. Damit wird für die Bäume der Zugang zu Wasser und Nährstoffen erweitert, und bei Trockenheit wird das verfügbare Wasser im Boden optimal ausgeschöpft. Zudem fördert das Pilz-Wurzel-Netzwerk den Nähr- und Informationsaustausch zwischen den Bäumen, nicht umsonst heisst es auch «Wood Wide Web». Dies alles stärkt die Lebensgemeinschaft und hilft dem gesamten System, mit den zukünftigen Veränderungen besser zurechtzukommen.

Nicht die Buchen müssen ersetzt, sondern die Böden geschützt werden. Das hilft nicht nur den Buchen, sondern allen Lebewesen des Waldes, und das sind nicht wenige, wenn man bedenkt, dass in einem Teelöffel Walderde mehr Lebewesen leben als Menschen auf der Erde.

Die Natur machen lassen
So lange Bäume fällen und neue zu pflanzen ein lukratives Geschäft ist, so lange wird immer jemand versuchen, gesunde Bäume zu fällen und mit Gezüchteten zu ersetzen. Der Trend ist, Bäume aus trockeneren Regionen zu pflanzen.

Aber der Klimawandel bedeutet nicht nur längere Trockenperioden, sondern auch Temperaturanstieg, vermehrt Stürme, Spätfröste, Starkregen und neue Krankheiten. Den Wunderbaum, der dies allem ohne Probleme standhält, gibt es schlicht und einfach nicht. Und auch wenn es ihn gäbe, eine Monokultur zu pflanzen, ist nicht die Lösung, damit haben wir genug Erfahrungen gemacht.

Der Waldboden
Der Waldboden ist die belebte oberste Schicht aus organischen und mineralischen Partikeln, Bodenlebewesen, Wurzeln, Luft und Wasser. Er bildet die Grundlage für das Leben im Wald und bietet Pflanzen, Tieren, Pilzen und Mikroorganismen einen Lebensraum. Der Boden speichert und filtert Wasser und die darin gelösten Schadstoffe. Somit reguliert er das Klima, beugt Überschwemmungen vor und erzeugt
unser Trinkwasser.Waldböden entstehen dank den winzigen Bodenlebewesen, die die Reste von Pflanzen, Pilze und Tiere zu Humus zerkleinern und zersetzen. Die Bildung von einem Zentimeter Boden kann bis zu 100 Jahre
dauern.Die Böden unterscheiden sich durch die Mächtigkeit des Wurzelraumes und die Wassermenge, die sie speichern und Bäumen zur Verfügung stellen. Bodenverdichtungen durch schwere Maschinen, Verschmutzung durch Schadstoffe und Klimaänderungen beeinträchtigen schwerwiegend die Bodenfunktionen und schaden dem gesamten Ökosystem.

Fremde Arten weisen oft geringere Fitness gegenüber anderen Umweltfaktoren auf, und wenn sie sich sehr gut anpassen können, werden sie in kurzer Zeit zu invasiven Arten, was ja erfahrungsgemäss das System mehr destabilisiert. Bäume, die von selbst im Wald wachsen, haben an ihrem Standort die besten Voraussetzungen und sind Teil des lokalen Ökosystems.

Bäume zu fällen, um Wälder zu lichten, ist nicht die Lösung, denn wo es weniger Bäume hat, steigen die Temperaturen, und die Böden trocknen schneller aus. Und wo es mehr Schatten hat, wachsen die Bäume langsamer, was sie robuster und widerstandsfähiger macht, weil sie weniger Luft im Holz einlagern.

Natürlich nachwachsende Wälder sind die Antwort auf die heutige Krise. Diese fördern Bäume, die gut an die herrschenden Lebensbedingungen angepasst sind, und begünstigen die biologische und genetische Vielfalt im Wald.

Systemisches Denken ist gefragt Unsere heimischen Buchen zu fällen und zu ersetzen, bedeutet, das gesamte System zu beeinträchtigen. Angesichts der vielfältigen Verbindungen zwischen allen Lebewesen im Wald verursacht das Fällen und Ersetzen der Buche schwerwiegende Veränderungen im System, deren Folgen wir nicht abschätzen können. Der Wald besteht nicht nur aus Bäumen, er besteht aus Tausenden von Arten, die miteinander in Beziehung stehen. Der Wald ist ein symbiotisches System, eine Lebensgemeinschaft von Pflanzen, Pilzen, Flechten, Tieren und Mikroorganismen, die auf wundersame Art und Weise miteinander interagieren. Die Beziehungen zwischen den Arten sind das, was die Natur in ihrem Innersten zusammenhält und Systeme resilient macht. Ein Ökosystem befindet sich umso mehr im ökologischen Gleichgewicht, je weniger es von aussen gestört wird. Der Verlust eines so prägenden Baumes wie die Buche würde unsere Wälder massiv verändern und aus dem Gleichgewicht bringen.

Weniger Eingreifen ist langfristig die beste und erfolgreichste Massnahme für das Überleben unserer Ökosysteme.

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